Sanssouci: Vorschlag
■ Mozarts „Requiem!!“ an der Komischen Oper
Im Saarland soll sie den frisch wiedergewählten Landesvater Lafontaine zum hundertprozentigen Tanztheaterfan gemacht haben. Bis zur Wende hat Birgit Scherzer an der Komischen Oper Berlin getanzt und choreographiert, 1991 wurde sie als künstlerische Leiterin des Balletts an das Saarländische Staatstheater nach Saarbrücken berufen. In der Provinz gibt es viele begabte ChoreographInnen: in Weimar, in Hagen oder eben in Saarbrücken – nur in Berlin will sie scheinbar niemand richtig halten. Jetzt hat die Komische Oper Birgit Scherzer erfreulicherweise zurück in die Stadt geholt. Nicht mit dem ursprünglich einmal geplanten „Projekt Woyzeck“, sondern mit einer Neueinstudierung ihres Saarbrückener Eröffnungsstücks „Requiem!!“, ein Totentanz zum letzten Opus Mozarts, pünktlich zum deutschen Wahlabend auf die Bühne der Komischen Oper gebracht.
Probenszene Foto: Arwid Lagenpusch
Birgit Scherzer hat die Musik in drei Akte – als drei Variationen, dem Tod zu begegnen – unterteilt: man kann zu Tode getrieben werden, sich wehren oder sich hingeben – ein Entrinnen gibt es nicht. Thomas Vollmer tanzt den Tod, einen omnipräsenten Meister mit nacktem, muskulösem Oberkörper, beunruhigend mächtig und mit asiatischer Kontrolliertheit und Ruhe. Der erste Sterbende, getanzt von Arturo Gama, ist ein ahnungsloser, zarter und junger Mann, der glaubt, dem Leben entgegenzugehen und dabei dem Tod in die Arme läuft – genauer gesagt in die Seile, die vom Schnürboden herabhängen, in denen er sich wie ein Tier verfängt, das in die Falle geht. Seile, in denen sich zuvor der Tod höchstpersönlich gedreht hat, der nicht wie die anderen an die Gesetze der Schwerkraft gebunden ist und wuchtig und schwer über dem Boden schwebt. Den letzten Sterbenden tanzt Gregor Seyffert; er hält einen Koffer umklammert, jede seiner Bewegungen drückt Todesangst aus.
Birgit Scherzer hat sich weder mit ihrer Musikwahl noch mit dem Thema übernommen: Ohne jedes falsche Pathos oder theatralischen Firlefanz entfaltet sie ihre Totenmesse. Das Stück lebt von einer hochkonzentrierten, zugleich dynamischen und suggestiven Körpersprache, die den Tänzern – bis auf ganz wenige Momente – jegliche Schwanensee-Attitüde austreibt. Herausragend sind die Gruppentableaus und das gesamte Spannungsfeld zwischen Solisten und Corps de ballet. Die Tänzer fallen in sich zusammen und bleiben am Bühnenrand liegen oder krümmen sich wie Würmer über den Bühnenboden: Der Humus, aus dem sich die Sterbenden heraussondern und in den sie am Ende wieder zurückfallen. Michaela Schlagenwerth
Heute um 19.30 in der Komischen Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte.
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