Sanssouci: Nachschlag
■ Armistead Maupin las in der literaturWERKstatt Pankow
If you came to San Francisco... Glauben Sie nur nicht, daß es genügt, mit der Scott-McKenzie-Schnulze im Walkman über die Golden Gate zu latschen, sich eine Blume ins Haar zu stecken oder ein Ferlinghetti-Gedicht aufzusagen. Wenn Sie nicht wissen, wo Michel Tolliver mit Mona Ramsey schwimmen ging und wo Brian Hawkins arbeitete, ehe er Mary Ann Singleton heiratete, Conny Bradshaws Tochter adoptierte und Hausmann wurde; wenn Sie von alldem nicht die geringste Ahnung haben, dann bleiben Sie lieber zu Hause. Und lesen sie Armistead Maupins „Stadtgeschichten“. Montag abend war er hier, dieser Marcel Proust von San Francisco. Vor begeistertem Auditorium in der übervollen literaturWERKstatt las er, abwechselnd mit seinem deutschen Übersetzer, Passagen aus seinen Büchern. Wer draußen vor dem Haus vorbeiging, hätte sich angesichts der Lachsalven, die aus den Räumen drangen, sicher denken können, daß hier keine deutsche Literatur vorgetragen wurde.
Armistead Maupin, der in seinem blütenweißen Hemd mit den zünftigen Hosenträgern aussah wie ein zivilisierter Bayer (falls es so etwas überhaupt gibt), ist einer der bekanntesten amerikanischen gay writer. Vor allem aber ist er ein writer, ein sprudelnder Geschichtenerzähler, der es nicht nötig hat, lediglich Minoritätenprosa zu verfassen. Sein Hetero/Homo/Transen/Normalo-Mix ist hinreißend politisch incorrect und schert sich den Teufel um Abgrenzungen und fragwürdige Identitätsbehauptungen. Noch in den deftigsten Zoten seiner Helden über Saunas, Darkrooms und Dildos mildert Selbstironie allzu hochtönende schwule Selbstgewißheiten und führt sie zurück auf den Boden einer gemeinsamen condition humaine. Ein reichlich wackliger Boden allerdings, denn jedem Happy-End in Maupins sechsbändigen „Stadtgeschichten“ folgt eine mittlere Katastrophe: Kindesentführungen, Enthüllungen in einem Wüstenpuff oder menschenfleischfressende Kirchenchristen. Ob gay liberation, die Jahre unter Reagan, der Einbruch von Aids, hetero- und homosexuelle Dogmen – Armistead Maupin erzählt auch ein Stück US-amerikanischer Mentalitätsgeschichte. Und er erzählt sie so, daß wir dabei brüllen vor Lachen oder erschreckt innehalten, verblüfft von der scheinbaren Leichtigkeit, mit der er auch Tragisches berührt. Man muß nicht immer das Ende der Welt ausrufen, um den Verletzungen des einzelnen nahe zu sein. Ehe Sie also nach San Francisco fliegen, sollten Sie vorher zu Zweitausendeins gehen und sich alle verfügbaren Maupin-Bücher holen. Dann sind Sie wirklich reif für die Stadt. Marko Martin
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