Sanssouci: Vorschlag
■ Braschs „Mercedes“
Wie eine verhüllte Skulptur steht der Fetisch am Anfang da. Ein Endlosfilm mit vorbeifahrenden Autos flackert über das verdeckende Leintuch. Der Fetisch entpuppt sich auch als statusträchtiges Vehikel – es ist ein Mercedes. Er dient in Thomas Braschs gleichnamigem Stück als Projektionsfläche für die Lebensträume der Wohlstandsgesellschaft. Die sie träumen, stehen nicht auf der Sonnenseite: Der Autonarr Sakko ist seit zwei Jahren arbeitslos, Oi arbeitet in Gelegenheitsjobs. Ein offenstehendes Nobelauto am Straßenrand scheint für das Pärchen die Ausbruchsmöglichkeit aus Langeweile und Tristesse zu sein. Doch am Ende der Reise steht das Desaster.
Regisseur und Sakko-Darsteller Rafael Forderer hat das elf Jahre alte Stück um ein gutes Viertel gekürzt. Sämtliche Zwischentexte, in denen Brasch die Schauspieler aus den Rollen aussteigen und ihre Figuren bemüht philosophieren läßt, fielen der Schere zum Opfer. Ebenso die kryptischen Anspielungen auf eine RAF-Entführung, als die beiden Straßenkinder einen Toten finden. Abgespeckt präsentiert das Werkchen allerdings um so deutlicher seine Schwächen. Ohne bedeutungsschwangeres Begleitgrün bleibt kaum mehr übrig als ein reichlich eindimensionaler Sozialcomic mit leicht surrealer Story: der Zustand des Sich- überflüssig-Fühlens in flott reduzierter Industriesprache als Rollenfutter für die Schauspieler. Hier kann sich die Inszenierung des Theaters Pompadur durchaus sehen lassen. Serafina macht aus der Hobbyhure Oi eine fleischige Person, deren überschwenglich laute Lebenslust nur mühsam die Leere hinter der lachenden Fassade verdeckt. Rafael Forderers Sakko ist ein verklemmter Streetboy, der sich vehement dagegen wehrt, erwachsen zu werden.
Als Regisseur konzentriert sich Forderer gänzlich auf die Beziehung seiner Protagonisten. Hat er schon aus dem Text alles Beiwerk gestrichen, so fehlt auch in der Umsetzung folgerichtig jegliche Ausschmückung. Eine Wippe mit großem Stern und ein Autoreifen sind die einzigen Requisiten. Die Geschichte wird holzschnittartig als Stationendrama erzählt. Das funktioniert vor allem deshalb, weil das Ensemble bei Inszenierung und Spiel die eigenen Möglichkeiten richtig einschätzt. So ergibt sich ein leidlich unterhaltsames, stellenweise dichtes Psychogramm eines Annäherungsversuchs zweier Außenseiter. Mehr aber auch nicht. Gerd Hartmann
Theater Pompadur, „Mercedes“ von Thomas Brasch, 25.–27.11. und 1.–3.12. im Checkpoint, 9./10. und 16./17.12. im Acud, jeweils um 20 Uhr.
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