Sanssouci: Vorschlag
■ Der chinesische Lyriker Duo Duo liest im China-Laden
Duo Duo gehört zu der Gruppe Pekinger Lyriker, die der Demokratiebewegung über ihre Untergrundpublikationen wichtige Impulse verlieh. Am 4. Juni 1989, am Abend seines Abflugs zu einer Lesetournee nach Europa, wurde er Zeuge des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
Seit 1989 lebt er im Exil – zuerst in England, dann in Kanada, das ihm den Immigrantenstatus gewährte und schließlich in den Niederlanden als Mitarbeiter der Rotterdamer Daily News. Dieses Jahr verbringt er als Gast des DAAD in Berlin. Doch auch hier lassen ihn die Erinnerungen nicht los: „Meine Droge heißt 4. Juni. Nach der Einnahme dieser Droge weiß ich: In alle Bereiche, die die Wissenschaft und Technik berühren, wie zum Beispiel die Verwendung von Ressourcen, Ökologie, Umweltschutz oder die Heilung von Aids, kann man noch Hoffnungen setzen. Aber wenn es um die Einstellung des Menschen, um den menschlichen Charakter geht, helfen weder Wissenschaft noch Technik. Ob in China oder den USA, immer sehne ich mich nach einem Land, so fern wie die Gesundheit.“
Häufig zitiert er Sylvia Plath, der er eines seiner Gedichte widmete: „Du weinst, du schreist, wenn du nicht aufhören kannst, dann nimm was ein!“ Seine Gedichte, die der Lyrik des Obskuren zugeordnet werden, sind geprägt von der Angst vor dem Leben und einer Sehnsucht nach dem Tod.
Als „Mann im Käfig“ (so der Titel seines Buches) schaut Duo Duo auf China aus der Ferne Europas. In analytischen Essays beschreibt er sein Heimatland, wie es nur jemand tun kann, der eine präzise Innenerfahrung hat. Er ist ein Meister der verdichteten kleinen Prosa, der scharf zupackenden Skizze, der intensiven Zeichnung und der überraschenden Pointe. Duo Duos prosahafter Sprachduktus enthüllt bei genauerem Hinsehen die Vielschichtigkeit seiner Sprachebenen. In pathetisch vorgetragenen Bild- und Sprachsequenzen fällt kompromißlos die Banalität des Alltags und der Alltagssprache ins Auge, die sich im Chinesischen von der gehobenen Sprache unterscheidet. Durch den Kontrast von Pathos und Banalität entsteht so eine desillusionierte, allerdings noch nicht resignierte Trockenheit.
Morgen wird Duo Duo auf Einladung der Gesellschaft für deutsch-chinesische Freundschaft einige seiner Gedichte, die auch in deutscher Sprache veröffentlicht worden sind, vortragen. Eine seiner kürzeren Erzählungen wird die Sinologin Irmtaut Fessen-Henjes vorstellen. Heidi Schirrmacher
Am Dienstag um 19.30 Uhr im China-Laden in der Innsbrucker Straße 3, Schöneberg.
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