Sanssouci: Vorschlag
■ Die schönsten Bücher in der Zossener und von Wagenbach
Nur ein leichtes Rauschen im Bart und ein Nickeln in der Brille: Ein Antiquar auf kleinem Denkerschemel. Sonst nur Bücher, alt und staubig. Zossener Straße – das beste Antiquariat im Orte. Im wirren Schaufenster Bücher wie „Der Roggenpreis im Wandel der Zeiten“ neben „Rilkes Leben in Wort und Bild“. Drinnen dann: alles. Taschenbücher zuerst, dann Philosophie, drei Stufen hinauf: ein schmaler Raum, Literatur von A bis Z. Zum Beispiel Morgenstern: „Der Gingganz“ („Ich GING GANZ in Gedanken hin / Du weißt, daß ich ein andrer bin ...“), uraltes Buch mit dicken Seiten und lustigen Bildern zwischen den Gedichten. So auf Seite 10 „Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt“ – „Jaguar / Zebra / Nerz / Mandrill / Maikäfer / Pony / Muli / Auerochs / Wespenbär / Lockentauber / Robbenbär / Zehenbär“. Ein anderes heißt „Plötzlich“: „Plötzlich staunt er vor seinem Zwicker / daß er nicht ,gehe‘, gleich als ob das Glas / wie eine Uhr, nun eben ,gehen‘ müßte. / Wie? war er – stehen geblieben? – Lebenswitz. / Auf zwei Sekunden Wahrheit, hier für drei / zu viel schon. Gleichwohl. Plötzlich ... Schluß.“ So.
Im anderen Raum stehen Wagenbachs Quarthefte auf kaltem Boden in Fußhöhe gereiht, ungekauft seit ungezähltem Jahr und Tag. – Klaus Wagenbach: Wußten Sie, daß er immer rosa Hemden trägt und knallrote Socken? Doch, doch. Und rauchiges Brummen als Stimme, aus tiefen Gründen alten Wissens. Und macht immer noch Bücher und sitzt im Lesesessel Tag für Tag, prüfend und Gedanken sammelnd. Zu seinen Socken paßt seine Pressereferentin im Sakko tiefroter Farbe. Und links ist er wie damals, der Herr. Liest seinen StudentInnen Johann Peter Hebel vor. Darauf ein eifriger Student: „Auch Heidegger schätzte ihn sehr.“ – „Muß das jetzt sein, muß das jetzt sein? Ein Versehen war das. Als Heimatdichter mißverstanden hat Heidegger den Hebel. Mißverstanden. Der gehört uns, und bleibt's.“ Streicht über das alte Buch, andächtig. „Uns“ – wir Linke sind das, wir gemeinsam anständigen Menschen – drücken sollte man ihn, für solche Worte. Und dafür, daß sein Verlag (der grade dreißig wird) die schönsten Bücher macht. Volker Weidermann
Kreuzberger Büchermagazin, Zossener Straße 46.
„Stilblüte“ von Christian Morgenstern
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