Sanssouci: Vorschlag
■ Öffentliche Herrentoilette auf dem Alexanderplatz
Verabredet sich der Hetero gemeinhin an der Weltzeituhr, wählt der Homo für sein Rendezvous einen Treffpunkt dreißig Schritte weiter: die unterirdische Toilette auf dem Alexanderplatz. Die Alex-Klappe ist nicht nur der schwulste Ort Berlins, sondern von den rund 200 öffentlichen Bedürfnisanstalten der Stadt auch die einzige, auf der niemand chancenlos auf seinen Traumschwanz warten muß. Hier kommt zusammen, wer es beim Umsteigen von der S- zur U-Bahn nicht so eilig hat, wer sich nach dem Shopping entspannen möchte oder als Angestellter eines umliegenden Büros Abwechslung sucht in der Kaffeepause.
Zugegeben, für den Besuch der Alex-Klappe darf man ruhig einen Schnupfen haben. Es stinkt gewaltig, schon wenn man die erste Stufe nach unten betritt. Die ausgelatschte Treppe führt in einen quadratischen, stickigen Bunker, an den Wänden Kacheln, die einmal weiß gewesen sein müssen, an der Decke flackernde Neonröhren, und an drei Seiten Pißrinnen. Davor stehen die Herren in Reih und Glied, reiben am letzteren und schauen dabei mal rechts mal links und – wenn sie Schritte hören – auch mal nach hinten. Die Spielregeln sind einfach: zugucken und gegebenenfalls auch zugreifen, fertig. Schwierig wird's nur, wenn Mann es sich doch ein bißchen gemütlicher wünscht oder nicht möchte, daß sich der Dicke mit dem Vollbart dazustellt. Wer in eine Kabine umziehen will, muß leider nach dem Klomann klingeln. Auch die Serviererinnen des Wiener Caféhauses wachen mit Argusaugen über ihre WCs, und in den nahe gelegenen Szenebars sind reine Fickgäste ebenfalls nicht gerne gesehen. Nur der hutzelige Klowart vom Burger King drückt für 'ne Mark ein Auge zu, wenn zwei Herren zusammen in einer Kabine verschwinden.
Wenn da nur nicht das schlechte Gewissen wäre... „Raus aus den Klappen, in die Straßen!“ trompetete in den Siebzigern moralinsauer die Homobewegung (West) – die damit in erster Linie bewies, daß sie des Amerikanischen nicht mächtig war. Bezog sich doch der aus den USA importierte Spruch „Out of the closets!“ nicht auf das Klo, sondern auf den symbolischen Schrank, in dem sich die Schwestern nicht länger verstecken sollten. Eine blödsinnige Übersetzung vor allem, weil die Klappe ein nicht minder öffentlicher Ort ist als die Straße: Auf der Alex-Toilette ist jeden Tag Christopher Street Day mit offenen Hosenlätzen als Transparenten und schwulem Gestöhn als Parolen. Wie viele arglose Touristen, Familienväter und Jungs müssen sich schon über die Männer gewundert haben, die da völlig selbstverständlich Ewigkeiten an der Pißrinne stehen, ohne zu pinkeln, und die mit ihrem Ständer auch mal quer durch den Raum wandern.
Spaltung der Szene? Aufsplitterung der Schwulen? In der Alex-Klappe ist davon nichts zu spüren. Hier trifft man sie alle: alt und jung, hübsch und häßlich, versteckt und offen, Lederkerl und Föntunte, Professor und Hilfsarbeiter, Romantiker und Sexmonster. Und immer wieder auch diejenigen, die sich in den Leserbriefen darüber beschweren, daß der Schulze die Homos dauernd in die sexuelle Ecke drängt... Micha Schulze
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