Sanssouci: Nachschlag
■ Zwischen Regen und Traufe - Cirqu'enflex im Tränenpalast
„Eigentlich ist das Wasser überall“, heißt es in der Programmzeitschrift, ein in dieser Jahreszeit eigentlich überflüssiger Hinweis. Wer's trotzdem nicht glaubt, der glaubt's am Ende der zweistündigen Reise durch die Motivgeschichte: Wäscherin, Fischer, Taucher, Wasserleiche. Trinken, pinkeln, gurgeln, baden. Deklination und Konjugation von H2O geraten munter durcheinander – ein Reigen zwischen Regen und Traufe.
Boden, Trapez, Hochrad: die fünf Tänzerinnen und Tänzer der Schweizer Truppe Cirqu'enflex sind überall in ihrem Element. Ihre Herkunft aus Theater, Zirkus und Tanz läßt sie über das rein Akrobatische hinausgehen. Viele der Szenen sind – wiewohl das Bewegungsspektakel jederzeit im Mittelpunkt steht – erfrischend skurril, den drögen Zirkuskonventionen gänzlich enthoben. Zum Beispiel die Waschfrau, die aus einem Faß zu entkommen versucht, wobei ihr dieses immer mehr zum Tanzpartner wird. Oder der mit dem Fahrrad: Mal kauert der Tänzer auf dem Vorderrad, mal baumelt er von der Lenkstange – aber immer steht das Rad. Artistik und Skurrilität, Muskeln und Humor – eine Mischung mit Seltenheitswert im Zeitalter des verbissenen Bodybuildings. Leider wird der Humor zuweilen in vermeintlicher Sinngebung ertränkt. Was sollen beispielsweise zwei Hohepriester in Latex-Anzügen, die auf Stelzen gehen und Wasser ausgießen? Je länger der Abend, desto häufiger wird Symbolik suggeriert, wo vielleicht gar keine ist. Auch vermag die artistische Brillanz nicht jederzeit über den mangelnden Spannungsbogen hinwegzutäuschen; das Thema droht in seinem eigenen Facettenreichtum zu ertrinken. Eine Gratwanderung zwischen Vielfalt und Beliebigkeit. Trotzdem erfolgt kein Absturz. Denn da gibt es die Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie offenbart die Stärken nicht nur von Cirqu'enflex, sondern des Mediums Tanztheater überhaupt. In jeder andern Darstellungsform wäre der Geschlechterkampf im Zeitraffer platt, hier vermittelt er eine Intimität, die nie peinlich ist. Nur tänzerisch läßt sich in dieser Kürze darstellen, wie ein Mensch etwa einen andern fallenläßt. Leider bleibt die Truppe nicht bei den Beziehungen, sie muß ja zurück zum Wasser. So erfährt man nicht, was es mit den Andeutungen der Geschlechterspezifik auf sich hat, was daraus wird, daß Männer im Entzücken über die eigene Großartigkeit verharren, während Frauen sich lustvoll dem Leben öffnen. Dabei hätte man sogar beim Thema des Abends bleiben können. Auch der Mensch besteht ja zu 90 Prozent aus Wasser.
P.S.: Daß während der gesamten Vorstellung an der Bar Getränke flossen, mag als Abrundung eines Gesamtkunstwerks gedacht gewesen sein oder als Verflüssigung der Grenzen zwischen Theater und Realität. Man könnte den Ausschank aber auch nüchterner bewerten: als ärgerliche Lärmquelle. Simon Heusser
Bis 3.2., Di.–So., außer 27./28.1., 20 Uhr, Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte.
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