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SanssouciVorschlag

■ Eine Hommage an Armand Gatti im „Maison de France“

Eine „gewisse Verworrenheit“ attestierte ihm 1964 einer, der sich so schnell von experimenteller Theatersprache nicht verwirren ließ: Arthur Adamov, mit seinem Frühwerk einer der Großen des Absurden Theaters. Diese Kritik beeindruckt Armand Gatti, Schriftsteller, Dramatiker und Filmautor heute ebensowenig wie damals. Gatti ging immer weiter als andere, nicht nur in der Verwerfung jeglicher klassischer Dramaturgie, sondern auch in der Radikalität seiner politischen Positionen. Er will die Zuschauer zur „aktiven Rezeption“ zwingen. Besonders deutlich wird seine Methode in „Öffentlicher Gesang vor zwei elektrischen Stühlen“ (1966). Das Stück handelt nicht von den 1921 in Boston zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti, sondern von einem Stück über die beiden. Die Zuschauer werden dadurch dazu gezwungen, die Reaktionen des imaginären Publikums auf der Bühne mit ihren eigenen zu vergleichen. Eine Trennung durch die Rampe läßt Gatti nicht gelten; um so deutlicher macht er die politischen Fronten.

Seine Stücke handeln von Rosa Luxemburg, Che Guevara, von der „Commune“, vom Widerstand gegen Franco, vom Vietnamkrieg. Häufigstes Thema Gattis ist jedoch der Faschismus. „Ein sehr starkes Bedürfnis, die Welt der KZs gleichsam zu exorzieren“, nannte er einst auch als Motiv für seinen ersten Film „Der Verschlag“ (1960/61). Gatti war als Résistance-Kämpfer selber im KZ. Er brach aus dem Lager aus und schlug sich nach England durch, wo er Mitglied einer Fallschirm-Kampfgruppe wurde. Nach dem Krieg arbeitete er als Journalist und Reporter, bereiste die Sowjetunion und China, wurde in Guatemala Zeuge des von den USA unterstützten Putsches gegen die linke Regierung Arbenz 1954. Gatti brandmarkte die Repression aber auch dort, wo ihr zur Legitimation ein progressives Mäntelchen umgehängt wurde, wie im Fall der sowjetischen Psychiatrie. Denen zur Sprache zu helfen, die sie verloren haben – das wird zum zentralen Motiv seiner Arbeit. Seine Distanz zum etablierten Theaterbetrieb vergrößert sich nach 1968, die Verklammerung von Bühnen- und Zuschauerrealität reicht ihm nicht mehr. Er wendet sich dem Film zu, um jenes Publikum zu erreichen, das er im Theater nicht länger glaubt erreichen zu können. Zwischen 1976 und 1983 publiziert Gatti keine Dramentexte.

Im Rahmen der „Hommage à Armand Gatti“ präsentiert das „Maison de France“ einige seiner neuesten Arbeiten, Videofilme von 1990. Einer der Kurzfilme, „Qui suis-je?“, behandelt zwei fundamentale Fragen der Methode Gattis: Wer bin ich und an wen wende ich mich mit meiner Geschichte? Vordergründig handelt es sich um eine Serie von Porträts von ausgegrenzten Jugendlichen aus armen Vierteln Marseilles. Emotionslos erzählen sie, fast noch Kinder, von ihren leidvollen Erfahrungen. Gleichzeitig spielen diese Jugendlichen Rollen in einem Stück, von dessen Aufführung der Film handelt. So sieht man sie nacheinander als Porträtierte und als Darsteller ihrer selbst. Diese Metamorphose, ihr Aufblühen im Rollenspiel, ist faszinierend. Gattis Filme stellen mit ihren Parallelaktionen nicht weniger hohe Anforderungen an das Publikum als seine Dramen. Gattis V-Effekt funktioniert auch mit filmischen Mitteln. Simon Heusser

Heute, 15 Uhr: Serie A. Gatti à Marseille, Maison de France, Kurfürstendamm 211; 19 Uhr: 26 visites guidées (Dichter, Kritiker, Politiker über Gatti), 20.30 Uhr: Rencontre avec A. Gatti, Centre Culturel, Unter den Linden 37.

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