piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Desfile de Moda – viel Nichts und ein bißchen Stoff im HKW

Brasilianisch, schwungvoll, recycelt

Meine Freundin, wohnhaft mit Blick auf den Strand von Recife und daher Strandmodenexpertin, erzählte mir vor Jahren, daß als schamhaft gelte, wer beim „Beachen“ die Pobacken mit mehr als einer Kordel ziere, oben ohne hingegen sei verpönt. Wenn sich nichts Grundlegendes geändert hat, dann muten diese Bikinis in brasilianischen Augen seltsam an: Hier werden Höschen vorgetragen, die das Strichdasein weit hinter sich gelassen haben. Die Bustiers hingegen schreien geradezu nach Aufmerksamkeit: Wollreste und Stoffzipfel drapieren Brüste zu Blumen – vielleicht eine selbstbewußte Antwort auf die einseitige Vorliebe brasilianischer Männer für einen ausladenden Hüftschwung (wenn es stimmt, was meine brasilianische Freundin erzählt hat).

In schrillen Neonfarben mit aufgenähten Stoffrosetten eröffneten die Badezweiteiler das „Desfile de Moda“ im Haus der Kulturen der Welt. Das Besondere an der Modenschau: Sie kommt aus „Rocinha“, dem größten Elendsviertel Rio de Janeiros. Mode aus den Slums, vielleicht war es diese brisante Verbindung, die die Massen ins Haus der Kulturen lockte. 1.300 ZuschauerInnen waren allein am Freitag in die Halle gekommen, um zu sehen, wie sich der Inbegriff von Luxus made in Slums definiert. Das Defilee als eine Lektion der ungeschriebenen Gesetze der Favelas. Recycling ist hier kein politisch korrektes und deshalb antrainiertes Motto, sondern alltäglicher Weg des Überlebens: Verwertet wird alles, was noch nicht zu Nichts zerfallen ist. Patchwork heißt die Wundermethode, die aus den winzigsten Abfallresten der großen Stoff- und Modefabriken Tragbares zaubert, anderes wiederum ist gehäkelt.

Weil Stoffe hier jedoch im allgemeinen knapp sind, ist das Charakteristikum dieser Mode ohnehin „viel Nichts und ein bißchen Stoff drumherum“ – nur eben bei der Strandmode wird nicht gespart, auch nicht bei einer Kollektion von langen, wehenden Patchwork-Röcken. Der schönste von ihnen ist aus grauen, schlammfarbenen und blauen Tüllecken geschneidert. Publikumshit jedoch waren die Kreationen aus weißem Tüll mit Punkten. Superknappe Shorts oder Minis und Oberteile bedecken das Notwendigste, während Bauchnabel, Arme oder Beine vom Tüllstoff umflattert werden. Hier steckt die Raffinesse im Einfachen. Die Schnitte sind oft simpel (Hosen beispielsweise haben für den Halt oft nur eine Kordel um die Hüfte), die Farben blaß, verwaschen oder ausgebleicht. Erst ihre Patchwork-Kombination bringt Spannung in die Kleidung. Und die teilweise aufwendige Handarbeitskunst der Favela-Näherinnen. Ein Kleid und ein kurzes Shirt aus gold- und beigefarbenen Rosetten mit Hunderten von Durchblicken hat mehr Eleganz als manches Designerstück und ist – mit Verlaub – doch gar nicht soweit von traditioneller Topflappenproduktion entfernt. Doch auch das ist Konzept: Traditionen erhalten.

29 Frauen aus dem Elendsviertel Rocinha gehören zum Label der „Coopa Roca“, einer Kooperative, die von der Soziologin Maria Teresa Leal vor 13 Jahren ins Leben gerufen wurde. Die Frauen, wie zum Beispiel die 56jährige Donna Ana Maria da Silva, arbeiten zu Hause. Viele dürften aufgrund der patriarchalischen Strukturen ohnehin nicht außerhalb des Hauses Geld verdienen. Seitdem sie von der Tisch- und Bettwäschefertigung in die Modebranche umgestiegen sind, werden sie unabhängig vom Absatz (vergleichsweise gut) pro Arbeitsstunde bezahlt – und sind mittlerweile in ganz Brasilien bekannt. Vor einem Jahr trugen Models einer großen Show aus Solidarität die Kollektionen aus dem Slum, nun werden sie in Boutiquen verkauft. Und Donna Ana saß, gemütlich rauchend und selbstbewußt lächelnd, im Foyer des HKW, fast so, als sei es noch nie anders gewesen. Im Hintergrund spielte eine brasilianische Band heiße oder auch melancholische Rhythmen, und die Menschenmenge lichtete sich nur zögerlich. Petra Brändle

Berlinisch, streng, klassisch: Später am Abend wurden auch Modelle von Cecilio Vicente gezeigt Fotos: William Strauch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen