Sanssouci: Vorschlag
■ Joachim Schmids „Bilder von der Straße“ (jetzt im Park)
Die postmoderne Idee, daß das Kunstwerk lieber unter Mühen dem Strom des Unbewußten zu entreißen sei, als daß der Künstler sich selbst entblöde, ein Bild zu schaffen: das muß man begriffen haben, um Joachim Schmid zu begreifen. Seine „Bilder von der Straße“ sind nicht Aufnahmen des Straßenlebens, sondern die Kunst, die die Straße dem eklektisch fixierten Auge ohne Widerstand anvertraut. Sie liegen einfach herum.
So sehen sie dann auch aus. Geknickt. Gebrochen. Durchlöchert. Geritzt. Geschliffen bis zur Unkenntlichkeit. Viele der von Schmid entdeckten Fotografien sind zerrissen worden, er hat sie – nicht anders als ein Restaurator – in ihrer vermutlich ursprünglichen Gestalt wieder zusammengesetzt. Für jeden Fund wird eine reinliche Pappe als Fond verwendet. In Gruppen von zwanzig oder dreißig Fotos zeigt Schmid in der Galerie im Körnerpark mehrere hundert in vager Chronologie. Seit einem Dutzend Jahren wird gesammelt; Jahr und Fundort sind angegeben. Der unglaublichste Fund ist der letzte: ein streichholzschachtelgroßes schwarzweißes Bild eines Zeppelins über einer süddeutschen Landschaft, unbeschädigt. „Berlin, April 1995“.
Ansonsten sind die Funde in jeder Hinsicht zeitgenössisch – von absoluter Durchschnittlichkeit. Porträts aus Automaten, Urlaubsbilder, technisch unzulängliche Fotos – eine Kategorie, die für Schmid natürlich nicht existiert. Der Diskurs ist ein großer Sack, da kommt alles rein. Farbe, schwarzweiß, Polaroids, Dias. Es ist verführerisch zu unterstellen, nicht nur die Fotografie, sondern auch ihr Gegenstand sei weggeworfen worden. Zumindest scheint es Regeln der Scham zu geben, Nacktheit kommt nur auf einem Fundfoto aus São Paulo (1993) vor: ein Mädchen, Brustporträt. Dasselbe Mädchen noch einmal, durch Unschärfe nun sehr weich vor einem schilfgemusterten Vorhang. Das linke untere Viertel des Bildes, das ihr Geschlecht zeigen könnte, fehlt. Vielleicht gibt es noch andere Sammler.
„Der Schmerz einer gescheiterten Liebe wird geläutert, indem alle fotografischen Indizien des oder der ehemaligen Geliebten vernichtet werden“, schreibt dazu ein John S. Weber im Katalog. Blühende Phantasie! Unmöglich kann man wissen, wer die Fotos in kleine, scheinbar insignifikante Stücke zerrissen hat. Warum soll es nicht das Mädchen selbst gewesen sein. Gewiß, eine unterlegte Erzählung kann dem Material seine Gruseligkeit etwas nehmen. Umgekehrt der Effekt bei den 24 Holztafeln, die unauffällig am Boden stehen: Sie zeigen schwarzweiße Vergrößerungen der Negative, die Schmid gefunden hat. Mit ihren wilden schwarzen Spuren kommen diese Bilder zurück in die Wirklichkeit einer irgendwie fühlbaren Welt. Die Appropriation per Labor scheint den Zynismus, der im Sammeln und Zusammenpuzzeln liegt, tendenziell auszulöschen. Der Unterschied liegt wahrscheinlich im Mehrwert durch Schmids Autorschaft. Ulf Erdmann Ziegler
Bis 18.6., Di-So 12-18 Uhr, Galerie im Körnerpark, Schierker Straße 8, Neukölln, Katalog 18 DM
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