Sanssouci: Vorschlag
■ Charmant: Sunset-Variet plus Neuss-Filme in der Ufa-Fabrik
„Erhoffen Sie sich nicht zuviel“, begrüßt der Moderator des Freilicht-Varietés, ein mit Frack und Zylinder verkleideter Althippie, seine Gäste im Sommergarten der Ufa-Fabrik. „Schließlich haben Sie ja auch nur zwölf Mark Eintritt zahlen müssen!“ Keine Frage, der Preis ist moderat. Für ähnliche Varieté-Vorstellungen mit Zauberei, Bauchtanz, Schwert- und Feuerschluckern, Hundekunststückchen, Jongleuren und allem, was sonst dazugehört, muß man in etablierten Locations mindestens zweimal soviel zahlen.
Jongleure waren dafür inflationär. Hüte, Kegel, Reifen, Obst, Gemüse und Bälle flogen durch die Luft. „Runter kommen sie immer“, hieß es schon in der Anmoderation. Zum einen wollte man so die Erwartungen der Zuschauer auf Keller-Niveau halten. Vor allem jedoch resultierte diese Tiefstapelei aus einer realistischen Einschätzung der Kunstfertigkeit einiger Akteure. Dabei dachten sich die geduldigen Zuschauer natürlich noch nichts Böses. Gerade Pleiten und Pannen machen bekanntlich den Reiz einer Low-budget-Veranstaltung aus. Selbst daß der Schwertschlucker ganz offensichtlich mogelte, fand ich überhaupt nicht schlimm. Erst nachdem einer der Jongleure erneut auf die Bühne kam, doch diesmal nicht in der Absicht, mit fünf Bällen gleichzeitig zu spielen, sondern um dem verehrten Publikum zu demonstrieren, daß er „mit allen zehn Fingern Gitarre spielen kann“, beschlich mich ein leiser Verdacht: Ist das hier nur eine Parodie auf ein Varieté-Programm? Nach einiger Zeit wurde klar: viele Meister des Varietés setzten nicht auf solide ausgearbeitete Nummern, sondern auf Überraschungseffekte und Publikumsanimationen. Ich frage mich noch heute, wie der Zauberer es wohl anstellte, drei Leute aus den Zuschauerreihen dazu zu bringen, auf ein und demselben ollen Kaugummi zu kauen.
Obwohl den meisten Darbietungen etwas vom zweifelhaften Charme einer Schulaufführung anhaftete, überwogen ganz klar die angenehmen Seiten: Wer würde es nicht genießen, sich an einem lauen Sommerabend von einer aufmerksamen Bedienung eisgekühlten Weißwein bringen zu lassen, während die Sonne langsam zwischen den rauschenden Bäumen des Ufa-Gartens untergeht und eine Zwei-Mann-Live-Band, bestehend aus Saxophon und Kontrabaß, dazu seichten Plauderjazz fabriziert? Damit nicht genug. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde bislang unveröffentlichtes Filmmaterial des mittlerweile zahnlosen Wolfgang Neuss aus dem Archiv gegraben und auf einer Videogroßleinwand präsentiert. Ein lobenswertes Unterfangen, wenn auch ein wenig stilbrüchig, hatte man sich doch gerade so schön an die Varieté-Parodie gewöhnt. Kirsten Niemann
Sunset-Varieté, bis 12.8., jeweils samstags, 20.30 Uhr, Ufa-Fabrik, Sommergarten, Viktoriastraße 10-18, Tempelhof
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