Sanssouci: Vorschlag
■ Besonders traurig: Eriti Muusika Ansambel im Zosch und Acud
Beim Klang dieser Musik keimt unweigerlich der Wunsch auf, sich ein gutgefülltes Päckchen Luckys ohne Filter zu schnappen, sich damit möglichst alleine in die trostlose Kneipe an der nächstbesten Ecke zu setzen und dort lautlos in ein schlechtgezapftes Bier zu weinen. Das „Eriti Kurba Muusika Ansambel“ – oder „Especially Sad Music Orchestra“, kurz ESMO, wie sich die estnische Band außerhalb ihrer Heimat nennt, wird seinem Namen nämlich mehr als gerecht: Die Instrumentierung mutet mit ihren sachten Streichern, Flöte und Kontrabaß traurig genug an. Doch wenn der Frontmann, Dirigent, Sänger und Gitarrist Sven Kuntu seine schaurig hohe Stimme einsetzt, beschleicht einen alles Elend dieser Welt. Die Texte der Lieder – denen man ohne der estnischen Sprache mächtig zu sein, natürlich nicht folgen kann – sind auch nicht gerade fröhlich. Sie handeln vom beklagenswerten Schicksal des armen Nachbarhundes, der einem Tierfänger zum Opfer fiel. Oder vom „Candy Uncle“, dem bösen Mann, der Kinder mit Süßigkeiten lockt.
Doch dies ist freilich nur eine Seite der siebenköpfigen Combo aus dem Baltikum. Wer würde schon freiwillig am Wochenende aus dem Haus gehen, um sich zu grämen? Bei seinem etwa zweistündigen Live-Auftritt bietet ESMO weit mehr als minimalistische Trauermusik. Sven Kuntu, der seine Showtime auch schon mal in einem schrillen Clownskostüm bestreitet, gibt sich alle Mühe, die Sprachbarrieren zu durchbrechen. Seine Ansagen spricht er nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch auf deutsch, englisch und französisch. Verstehen wird man ihn dadurch leider auch nicht besser, weil er nämlich keine dieser Sprachen auch nur einigermaßen beherrscht.
Doch das Publikum begreift auch so, worum es geht. Komik, Melancholie und ganz simpler Blödsinn geben sich hier die Hand, während die Flöte auf einmal zu einem Beat im Dreivierteltakt ansetzt. Oder zu einem fürchterlichen Foxtrott, der irgendwann in einen seltsamen Walzer abrutscht. Die Musik ist zwar mitunter sehr eigentümlich, bleibt aber immer flott und geradezu professionell harmonisch. Zumal wir es hier nicht mit Dilettanten zu tun haben, sondern mit ehemaligen MusikstudentInnen aus Tallin, die ihr Handwerk vortrefflich verstehen. Da kann man es sich auch leisten, wie ein kleines Philharmonieorchester zu klingen, das ein ausgeprägtes Faible für Jazz hat. Oder wie eine Folklore-Punkband mit Violinbegleitung, die versehentlich in die falschen Instrumentenkoffer gegriffen hat. Denn von all dem bieten sie ein bißchen. Kirsten Niemann
Especially Sad Music Orchestra. Sa, 22 Uhr, Zosch, Tucholskystraße 30, Mitte; So, 23 Uhr, Acud, Veteranenstraße 21, Mitte
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