Sanssouci: Nachschlag
■ Eine Szene für Rahel Levin Varnhagen im Fliegenden Theater
Sinnbild der komplexen Autorin? Foto: Cristina Damasceno
„Ich bin wie ich war.“ Die prägnantesten Zitate aus Rahel Levin Varnhagens Texten gleichen Beschwörungsformeln, wie man sie sich vor dem Einschlafen hersagt. Als Autorin eines umfangreichen Briefwerks und von Tagebüchern, ist die 1771 in Berlin geborene Levin Varnhagen allerdings weniger in Erinnerung. Die begabte und wortgewaltige Tochter jüdischer Eltern gilt heute vor allem als Salondame, die mit berühmten Männern in Briefwechsel stand. Zu ihren Lebzeiten erschienen einige Texte unter Pseudonym, das meiste blieb unveröffentlicht. Wie prekär ihr gesellschaftlicher Status – Paria qua Geschlecht und Herkunft – war, belegen ihre knappen, privaten oder öffentlich-politischen Zustandsbeschreibungen und Analysen, die die Grundlage zur Text-Collage „Rothes Herz“ bilden. In der Regie von Dorit Meyer und Birgit Bosold wurde ein Fünf-Personen-Stück auf schlichter gelbgrüner Bühne (Kerstin Laube) inszeniert, gefördert vom Künstlerinnenprogramm des Kultursenats.
Fünf SchauspielerInnen, drei Frauen (Marie Luise Gutteck, Nives Kramberger, Anna Zimmer) und zwei Männer (Stefan Dillinger, Volker Langwagen), geben „Rothes Herz“ als vielstimmigen Chor. Widersprüchlich und streitbar ist diese Stimme, fast jeder Satz ein Aphorismus, „aus tiefstem Herzen, wozu ich ein bischen ärgerlich sein muß“. Ständiges Thema der Briefe an die Familie oder Freunde ist die existentielle Einsamkeit der klarsichtigen Außenseiterin, die Levin Varnhagen trotz Taufe und nichtjüdischem Ehemann blieb. „Wer seinen Busen ohne Panzer herumträgt, wird verletzt, das habe ich gelernt.“ Und doch ist hervorstechendes Merkmal ihrer Schriften ein leicht ironischer Unterton, wie bei der Beschreibung einer Floh-Attacke: „Es müssen eine Menge gewesen sein, jedenfalls haben sie sich die ganze Nacht an meinem Blut betrunken. Wahrscheinlich haben sie die Republik gefeiert, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Die Inszenierung selbst ist ganz auf die Rezitation der Originaltexte konzentriert, ein Sprechstück mit gelegentlichen dynamischen Bewegungseinlagen, die die Zerrissenheit der Autorin oder die Beziehung zu den einzelnen AdressatInnen illustrieren soll. Zu Recht lautet der Untertitel „Eine Szene für Rahel Levin Varnhagen“, denn die Realisation enspricht kaum einer dramatischen Erzählung, sondern ist eben eine collagierte Momentaufnahme, deren Charakter ganz dem flexibel-imaginativen Geist entspricht, dem sie gewidmet ist. Gudrun Holz
Bis 17.9., Do.-So., 20.30 Uhr, Fliegendes Theater, Hasenheide 54
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