Sanssouci: Vorschlag
■ Clubbin' mit Lenny: Present-Tense-Hip-Bop im Quasimodo
Für eingeschworene Club-Jazzer ist im Berliner August alljährlich Entwöhnungskur in frischer Luft angezeigt. Da ist einfach fast alles dicht, was sonst mit Live-Jazz in lufttrockene Räumlichkeiten lockt. Doch spätestens wenn das Quasimodo Anfang September in die neue Saison annonciert, können sich die Club-Junkies gelassen in Pose tun: Im Berliner Jazz-Herbst rechnet man mit ihnen. Spekulieren ließe sich dieser Tage etwa darüber, warum sich allein die Quasimodo-Programmvorschau für die nahe Zukunft wie ein À-la-carte-Menü liest, an dem sich Augen und Ohren schon im Vorfeld satt fressen können. Vom Chicagoer Art Ensemble über James Carter, Gary Thomas und Joe Lovano bis hin zu Wayne Shorter und Henry Threatgill reicht das Angebot – kein Junk food für Club-Junkies also, sondern ein Meeting der Meisterköche in der Kellernische.
Dies mag nun zum einen daran liegen, daß man hier an den Erfolg des diesjährigen Jazz-in-July-Festivals anzuknüpfen geneigt ist, zum anderen, daß man darauf hofft, das arg gestreßte und hart umkämpfte Mangelgut Publikum werde sich nach Jahren der Irrfahrten durch die Nach-Mauer-Kultur auf Essentials besinnen. Wenn das Slummin' als Modedroge verwirkt hat, kann man wieder gelassen clubbin' gehen. Heute zum Beispiel zu Lenny Whites Present-Tense-Band. Auf ihrer gerade beim Hip-Bop-Label veröffentlichten „Present Tense“-CD grooven die Jungs mal wie eine Miles-Davis-Doo-Bop-Fortsetzung mit anderen Mitteln, mal schnulzig wie ein Spike-Lee-Soundtrack, um beim nächsten Track dann so zu tun, als wäre das angestrengte Jazz-HipHop- Gesülze der letzten Jahre nur das aufgeblasene Vorspiel zum Present-Tense-Sound dieser Tage gewesen.
Lenny Whites Karriere begann vor zweieinhalb Dekaden ebenda, wo das selbsternannte Leadership der neokonservativen Akustiker heuer den großen Verrat am Jazz datiert: bei Miles Davis „Bitches Brew“. Da trommelte White seinen Einstand, und mit „Return To Forever“ ging's dann weiter auf der Karriereleiter zum Jazz-Rock-Schlagzeuger der Siebziger. Bei Jazz in July saß er gerade noch im Akustik-Trio der Pianistin Geri Allen hinter dem obligatorischen Schlagturm, auch produzierte er jüngst für die „Acoustic Masters“-Serie des Atlantic-Labels. Wie das allen Mahnungen der Jazz-Polizei zum Trotz ausgeht, ist sehr schön auf der „Present Tense“-CD zu hören – die individuelle Jazzgeschichte des Lenny White in 13 Tracks sozusagen. Bei der aktuellen Present-Tense-Tour-Band ist neben dem Late-Miles- Gitarristen Foley auch einer der unterbewertetsten Musiker des Modern Jazz, der Multibläser aus der Herbie-Hancock-Connection, Benny Maupin, dabei. Know what I mean? Christian Broecking
Heute, 22 Uhr, Quasimodo, Kantstraße 12a
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