Sanssouci: Vorschlag
■ Mittelständischer Camp-Punkrock: Rancid im Trash
Zuerst passiert es, und dann dürfen die Erklärungen folgen: Ähnlich wie man seinerzeit darüber staunte, wie Nirvana's „Nevermind“ hell und hoch durch die Pop-Welt loderte, wundert man sich seit kurzem über das Durchstarten eines uralten Dings called Punkrock, das – nicht nur in den Staaten – leichtfüßig über die grungigen Monsterrocker hinwegrollte und sich phänomengleich jeglichen Analysen verweigert. Auch in our own country kann man sich seit Wochen beispielsweise bei Stippvisiten in den Bravo-Charts nur verwundert die Augen reiben ob der einsamen Präsenz von Punkrockern unter lauter Technopoppern, Take That und Kelly Families. Laut neuer Zeitrechnung sollen erst Green Day plötzlich abermillionen Tonträger verkauft haben, später dann Offspring. Von Designerpunk jedoch keine Rede, denn hier geht es um eine über Jahre hinweg gewachsene Szene in San Franciscos Viertel East Bay, wo die meisten der jetzt so bekannten Punkrocker ihr lokales Wesen trieben. So war „Dookie“ schon Green Days drittes Album, Offsprings „Smash“ lag ein Jahr bleischwer in ein paar kleinen Plattenläden.
Und Rancid, ebenfalls aus San Francisco, die jetzt quasi als das nächste große Punk-Ding after nach Europa kommt, existiert inclusive diverser Vorbands auch schon seit Jahren. Ihr drittes Album „...And Out Come The Wolves“ war bis vor kurzem das heißumworbenste der Staaten: Madonna wollte Rancid für ihr Maverick-Label casten, und auch Epic, eines der Sublabels von Sony Music in den Staaten, bot einen hochdotierten Albumvertrag. Doch wo es bei soviel Geld auch bei Punkrockers an die Ehre und die Credibility-Gurgel geht, entschieden sich Rancid, bei ihrem Hauslabel Epitaph zu bleiben, das Brett Gurovitz von Bad Religion gehört. U.a. bietet es auch NOFX und Offspring Heimstatt, und es gibt dort natürlich den gesamten Backkatalog von Bad Religion, die als Großpapas dieser Szene ironischerweise jetzt selbst bei Sony unter Vertrag sind.
Wie man schon merkt, schneiden sich da haufenweise Linien und Verbindungen, aber auch die simple Musik soll nicht außen vor bleiben: Wo Green Day mehr die süßliche Rockvariante sind, Offspring die etwas verschachtelteren Songs haben, kann man bei Rancid am ehesten Parallelen zum 77er Punk aus England ziehen, allerdings mehr zu mittelständischen Campversionen à la Clash. Nicht nur, daß sich einer der Sänger von Rancid mal wie Joe Strummer, dann wie Billy Brecht anhört, sind auch die Songs nicht nur eins, zwei, drei Punk-Ditties, sondern lassen oft genug Ska- und Reggae-Einflüsse anklingen. Ansonsten bleibt einerseits alles wieder bei Nirvana hängen, die Punkrock wohl salonfähig gemacht haben, und andererseits natürlich eine gut funktionierende Medienmaschinerie, die bald auch die unbedarfteste und mieseste Punkband aus ihrem Übungskeller holen und verkaufen wird. Gerrit Bartels
Heute ab 21 Uhr im Trash, Oranienstraße, Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen