Sanssouci: Vorschlag
■ Im Sub von Manila: „Midnight Dancers“ von Mel Chionglo
Ein junger Männerkörper in Schnappschüssen. Klick, klick, klick. Brust, Bauchnabel, Hintern. Zwischen den Takes eine Männerstimme: „Wie heißt du?“ „Du solltest zurück aufs College gehen!“ Und dann: „Wie wär's mit einer zweiten Runde? Komm, zieh die Hose aus!“ Der Körper gehört Sonny, Callboy und Go-go-Tänzer des schwulen Clubs „Exotica“ im Sub von Manila, die Stimme einem Kunden. Worum es in „Midnight Dancers“ geht, deutet sich hier bereits an: um schwule Prostitution, aber weder in der Form glamouröser Faszination noch als moralisch getarnte Homophobie, sondern als soziale Tatsache.
„Ich weiß, daß der Film eine Reihe sensibler Themen streift. Die waren einfach fällig, denn es sind Aspekte unserer philippinischen Sexualität“, nimmt Chionglo seine Arbeit gegen Vorwürfe in Schutz, er stelle „Amoralisches und Unzüchtiges“ dar. Tatsächlich wurde die Aufführung des Films auf dem Filmfestival von Manila verboten, nachdem er bereits auf Festivals im Ausland gelaufen war. Die Gilde der nationalen Filmemacher legte Protest ein – ohne Erfolg. Die Vermutung liegt nahe, daß die schwulen Sexszenen und der männliche belly-dance lediglich ein Vorwand für das Verbot waren. Wesentlich stärker dürfte der Sittenwacht die Darstellung der philippinischen Sozialstruktur und der emanzipatorische Ansatz des Films aufgestoßen sein.
Denn „Midnight Dancers“ ist eine Familiensaga mit umgekehrten Vorzeichen. Sonny und seine Brüder arbeiten im selben Club, die alleinerziehende Mutter ist das familiäre Zentrum. Joel ist Vater und Ehemann und hat zugleich einen Liebhaber. Sonny hält sich für straight und hat eine Transe zur Freundin. Wie in der Anfangsszene zeigt der Film die Verlogenheit einer Gesellschaft, in der Prostitution ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist. Im nüchtern halbdokumentarisch dargestellten Ambiente von Korruption, Gewaltbereitschaft und Armut sagt Chionglo, als einer der Brüder von korrupten Polizisten abgeschlachtet wird, den entscheidenden Satz: „Wir müssen für unser Recht kämpfen, niemand sonst wird das für uns tun.“ Gudrun Holz
„Midnight Dancers“ von Mel Chionglo, Philippinen 1994. Bis 20.4., täglich 22.45 Uhr, Xenon, Kolonnenstraße 5, Schöneberg
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