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■ „Travestie im Spielfilm“ – ein Film von Maria Schmidt im Arsenal

„Tanten, Tunten, kesse Väter – Travestie im Spielfilm“ – was verspricht der Titel nicht alles: Versteckspiel, Rollentausch, falsche Titten, aufgemalte Bärte – auf jeden Fall aber: die Sehnsucht nach dem unerreichbar Anderen. Stoff, aus dem Träume sind.

Durch 80 Jahre Filmgeschichte hat sich Maria Schmidt gearbeitet und hat das Andere andersherum zu einem neuen Cocktail gemixt. Wo Frauen als Männer und Männer als Frauen im Spielfilm auftauchen, wurden sie Ausschnitt an Ausschnitt neu hintereinandergeklebt, ungeachtet des Genres oder der Zeit, in der gedreht wurde. Das Ergebnis garantiert ein Wiedersehen mit den ewig gleichen Gesten der Glen und Glendas, Viktor und Viktorias, Tootsies, Orlandos und Dorian Grays des Films. Blaue Engel, die ihr Bein heben, Charleys Tanten, denen die Perücken verrutschen, Lockenwickler auf Männerköpfen, Zigarren im Mundwinkel einer Frau. Bei 250 Szenen aus 65 Filmen, die nur das Klischee vom richtigen Körper im falschen Kostüm zeigen oder umgekehrt, kommt Überdruß auf. Egal, ob als gelungene Tarnung vor den Verfolgern, ob als Verwechslungsspiel oder als kunstvoll gestaltetes Psychodrama – der thematische Zugang, dem die Berliner Film-Collagen-Herstellerin jede Handlung unterordnet, weist schmerzhaft auf die Blutleere der gefilmten Travestie hin. Außer bei Charlotte von Mahlsdorf kommt nichts Authentisches rüber. Auf Dauer ist das unerträglich.

Maria Schmidt ist mit ihrem Filmausschnittdienst in eine Marktlücke gestoßen. In früheren Collagen, in denen sie Selbstmörderinnen und Nonnen im Spielfilm oder „Frauengefängnisfilme“ sezierte, kategorisierte und kommentierte sie diese nach Machtdarstellungen, nach Zucht und Strafe, nach Sex- und Eifersuchtsszenen. Die visuellen Essays, die dabei entstanden, sind Grundlagenmaterial für Filmstudien. In dieser neuen Arbeit verzichtet sie darauf. Dabei hätten sich durchaus Fragen ergeben, denn die meisten Männer sind als Frauen grauenhaft zurechtgemacht und werden oft auch noch gespenstisch von unten beleuchtet. „Kesse Väter“ dagegen werden ihrem männlichen Pendant spätestens dann nicht mehr gerecht, wenn sich Frauen in sie verlieben, egal, wie viele Männer sie vorher „umgelegt“ haben. Ist Travestie im Spielfilm nichts anderes als ein Synonym dafür, daß alles so bleibt, wie es ist? Waltraud Schwab

„Tanten, Tunten, kesse Väter – Travestie im Spielfilm“ von Maria Schmidt. Premiere heute, 19 Uhr, Arsenal, Welser Str. 25

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