Sanssouci: Vorschlag
■ Politisches Theaterstück beim Lateinamerika-Symposium
„Wir hörten, wie Inés mit den Wärtern sprach. Sie sagten ihr, daß der Oberst das Baby sehen wolle, und daß es sehr schön sei, und sie sagte, daß es Leonardo heiße, wie der Großvater. Nach 24 Stunden kamen sie, holten das Baby ab, nahmen Inés aus der Einzelzelle und brachten sie zurück zu uns in die Gemeinschaftszelle“, berichtet Adriana Calvo, die heute der Asociación de Ex Detenidos-Desapareidos (Vereinigung ehemaliger Häftlinge und Verschwundener) angehört. 1977, ein Jahr nach dem Militärputsch, war sie drei Monate lang in verschiedenen Gefängnissen und Lagern. In einer von Psychologen herausgegebenen Studie über die Folgen der argentinischen Militärdiktatur schildert sie die traumatischen Erfahrungen, die sie während ihrer Haft machte. Was mit Inés und dem Kind passierte, weiß sie nicht, wohl aber erinnert sie sich an ähnliche Fälle.
Tatsächlich gehörten solche Kindesentführungen zu den Praktiken des argentinischen Militärs, das in den sieben Jahren der Diktatur vor keiner Menschenrechtsverletzung zurückscheute. Kinder inhaftierter Mütter oder ermordeter Regimegegner wurden an linientreue oder unpolitische Paare vermittelt. Wie viele solcher Fälle sich ereigneten, wird wohl auch nie geklärt werden. Denn unter dem Vorwand der „nationalen Versöhnung“ wird die Zeit der Diktatur aus der öffentlichen Diskussion verbannt. Die Täter bleiben straffrei, und die Opfer warten vergeblich auf Wiedergutmachung.
Festnahme in Buenos Aires Foto: Jens Theo Müller
Oft sind es Künstler und Intellektuelle, die hartnäckig gegen das Vergessen kämpfen. So auch Eduardo Pavlovsky in seinem 1985 entstandenen Stück „Potestad“ (Elterliche Gewalt), das der 62jährige heute abend im Rahmen des Symposiums „Das Theater des Hispano Sur“ im Haus der Kulturen der Welt vorstellen wird. Minutiös zeichnet „Potestad“ das Psychogramm eines Arztes, der während der Diktatur ein Kind adoptierte. Nur allmählich offenbart der Monolog dieser Figur die genauen Umstände der Adoption, die sich schließlich als Entführung erweist: Unter der Oberfläche des unbescholtenen Familienvaters verbirgt sich der Kollaborateur. Cristina Nord
„Potestad“, heute und morgen, 20 Uhr, Haus der Kulturen, John-Foster-Dulles-Allee 10 (Tiergarten)
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen