Sanssouci: Nachschlag
■ Im Zeichen des Sauriers. Monika Maron las aus "Animal triste"
Fast einhellig freut sich die Kritik: „Animal triste“ sei ein großes Buch über die Liebe. Der vierte, soeben bei Fischer erschienene Roman von Monika Maron kitzelt große Worte aus den Rezensentenfedern: „Aufregend und aufbrausend und dennoch anmutig, hitzig und heißblütig und doch von erstaunlicher Reife“, alliterierte Marcel Reich-Ranicki im Spiegel, und auch im „Literarischen Quartett“ durfte der Roman nicht fehlen. Entsprechend zahlreich erschien das Publikum zu Marons Lesung in der Akademie der Künste am Dienstag.
Eine Icherzählerin, vielleicht 90, vielleicht 100 Jahre alt, einst als Paläontologin im Berliner Naturkundemuseum tätig, lebt zurückgezogen in ihrer Wohnung und erinnert sich an „die vierzig Jahre Bandenherrschaft“, an die Kindheit nach dem Krieg, in die die verschollen geglaubten Väter wie Fremdkörper einbrachen, und vor allem an Franz, den Hautflügelforscher aus Ulm, dem sie kurz nach dem Fall der Mauer unter dem Skelett des Brachiosaurus begegnet und der ihr Geliebter wird. „Außer meinem Geliebten und dem Brachiosaurus gibt es nicht viel, woran ich noch gerne denke“, bekennt die namenlose Heldin, und dementsprechend webt sie sich ihre Biographie zurecht. Auf Franz' rätselhaftes Verschwinden folgt der Entschluß, „den Episoden meines Lebens keine mehr hinzuzufügen“. Sie schreibt ihr Leben selbst, auch wenn die Seiten dabei weiß bleiben. Die Vergangenheit, die sie in Rückblenden auferstehen läßt, ist eine Fiktion. Wer sich erinnert, entwirft sich – genauso wie die Forscher die Saurier erfinden. „Gott und die Welt hatten den Brachiosaurus vergessen (...) Danach haben wir angefangen, uns an ihn zu erinnern, was bedeutet: Wir haben ihn wieder erfunden, sein kleines Gehirn, seine Nahrung, Gewohnheiten, Zeitgenossen, sein ganzes langes Gattungsleben und seinen Tod.“
So ist „Animal triste“ mehr als ein bloßes Erzählen von Liebe und Leidenschaft. Maron legt eine Spur, die zum Schreiben selber führt. Wenn die Paläontologin das Fleisch zu den Knochen des Sauriers herbeiimaginiert und ihn so zum Leben erwecken will, steckt dahinter die alte Sehnsucht des Schriftstellers, das Skelett der Buchstaben mit Fleisch zu füllen und ihnen Leben einzuhauchen. Cristina Nord
Monika Maron: „Animal triste“. S. Fischer Verlag, 239 Seiten, 36 DM. Nächste Lesung am 13.3. in Schleichers Buchhandlung, Königin-Luise-Straße 41, Dahlem
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