Sanssouci: Nachschlag
■ „Die Legende vom Fall ohne Ende“: Das College of Hearts im Theater am Halleschen Ufer
Rossmann hat seine Kreditkarte verloren. Der smarte Yuppie, früh geübt im Börsenspiel der Kreissparkassen, befand sich auf dem Weg nach Japan und nach oben, als das unvorhersehbare Ereignis seine Karriere knickte.
Ausgeschlossen aus dem „Paradies der bargeldlosen Zahlung“, irrt er nun durch eine feindselige Welt, steht vor verschlossenen Türen, ist Bankern, Ganoven und U-Bahn-Bettlern vollends ausgeliefert. Hilflos stolpert er ins richtige Leben, das – man ahnt es schon – einiges an Prüfungen bereithält.
Rossmann singt. Er singt in Unterhosen und auf Socken, er singt seiner Tochter übers Handy ein Schlaflied vor („Ein Kind muß einen Vater haben, wenigstens von fern“), er singt mit dem Vizepräsidenten seiner Firma im Duett. Singend hüpft er ins lindgrüne, magische Viereck, in dem er seine Kreditkarte verliert, singend und kofferschwingend klettert er über das Baugerüst (zur Zeit obligat auf Berliner Bühnen). Und hier entstehen Zweifel. Ist das nötig? Und: Warum singt Rossmann?
Rudolf Krause, Harald Pilar von Pilchan und unten: Annette Kluge Foto: Thomas Aurin
„Die Legende vom Fall ohne Ende“ ist die neueste Produktion der Gruppe College of Hearts, und soll, so der Programmzettel, gleich dreierlei sein: Oper, Musical und „ironisches Oratorium“. Einige Traditionslinien dieser Gattungen zeigen sich auch tatsächlich, vornehmlich die, die man besser weggelassen hätte: Vom Oratorium hat das Werk den Chor geerbt, hier ein dünnes Grüppchen von drei Frauen, die stocksteif auf dem Baugerüst stehen und alles orakelhaft kommentieren; von der Oper stammt das merkliche Bestreben, auch die banalsten Botschaften in singbare Affekte umzumodeln. Wenn Rossmann (Harald Pilar von Pilchau) also singt (übrigens gut und schön), dann tut er dies, weil im Musiktheater eben gesungen wird – aus keinem anderen Grund. Zwar ist die Musik (Wolfgang Böhmer) in einzelnen Nummern flott und swingend und wird überdies von einer souveränen Frauencombo in perfektem Timing gespielt, doch bleibt die dramatisch-musikalische Konzeption unmotiviert. Die flotten Melodien werden über repetiertem Walking-bass zu Tode gedudelt, die Musik ist akustisches Beiwerk, das in unzähligen Strophen die Handlung zu langatmigem Stehtheater zerdehnt.
Doch was an musikalisch-dramatischer Spannung fehlt, wird an Belehrung wettgemacht. Denn Rossmann ist ein leidgeplagter Held in einem postmodernen Mythos. Drei Prüfungen gibt es zu bestehen, ein bißchen wie in der Zauberflöte, dreimal muß Rossmann teilen, kooperieren, moralisch und dennoch kalkulierend sein, ein bißchen wie im richtigen Leben. Im Mythos gibt es aber nicht nur für alles eine Lösung, sondern immer auch eine Moral. Die Moral heißt hier Frau Lombardi, ist die personifizierte Stimme des Managergewissens und begleitet den gestrauchelten Yuppie auf seinem Weg durchs Leben; mischt sich, den imaginären Zeigefinger belehrend erhoben, in alles ein. „Man überlebt durch Teilen“, sagt die bessere Stimme, oder „Der Mensch ist nicht der Automat, für den er gehalten wird.“
Nach der Hälfte dieser lehrstückhaften Agitation bleibt nur noch die innere Emigration. Dann erheitert ein wenig der Blick ins Programm. Denn dort steht tatsächlich, das Werk wolle sich „einreihen in die Produktion kabarettistischen Musiktheaters, dessen Traditionslinie von dem Urvater Jacques Offenbach über Namen wie Kurt Weill und Ernst Krenek ins heutige Nichts führt“. Wirklich, das ist gelungen: Musiktheater im heutigen Nichts. Christine Hohmeyer
Weitere Vorstellungen von 19.–14.3. und 2.–6.4., 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg
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