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SanssouciVorschlag

■ Geschniegelt bis zur Seitennaht: „Wir schlagern zu“ – das Duo Schall & Hauch tritt im Unart auf

Schön ist es, wenn einer seine Bestimmung gefunden hat: Michael Hess, der Sänger des Duos „Schall & Hauch“ beispielsweise, macht als Bachstelze, die an gebrochenem Herzen stirbt und todessüchtig auf den Flügel des Pianisten Sady Augsburger fällt, eine wirklich gute Figur. Sein Auftritt ist der Höhepunkt des Liederabends, denn Vögel, die morgens singen, holt abends die Katz.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Mit einer Schellackplattensammlung nämlich, die mittlerweile über 4.000 Titel der Schlager und Chansons vom Anfang des Jahrhunderts umfaßt. Eine Liebhaberei zwar, aber eine, die Michael Hess im Blut liegt. Anläßlich einer Geburtstagsfeier vor zwei Jahren war es dann soweit. Er verwandelte sich in einen Sänger und erntete die Bewunderung seiner Freunde. Hatte er doch mit dem Klang von Electrola im Ohr seine Pubertät überstanden und nebenbei trotz ganz, ganz kleiner Stimme, die zudem dem Schwäbischen stark zugeneigt ist, gelernt, den Ton der Schellackplatte perfekt zu imitieren. Daraus wurde Profession. Mittlerweile tritt das Duo „Schall & Hauch“ mit seinem dritten Programm „Wir schlagern zu“ überall dort auf, wo die Säle so klein sind, daß Kleinkunst reinpaßt. Geschniegelt bis zur Seitennaht führen sie durch ein kantenloses Programm, in dem Namen wie Otte Reutter, Friedrich Hollaender, Ringelnatz und Josephine Baker fallen. Deren Lieder werden „gegeben“. Reminiszenz. Nostalgie. Erinnerung. Alles wird sehr schön gesungen und ist furchtbar banal. Auffallend oft setzt die Pointe eines Liedchens treffsicher die Dummheit einer Frau ins rechte Licht, was mit Sachzwang erklärt wird. Die Couplets und Chansons von früher seien eben so. Im Normalfall ist die Frau eine Furie, Hur(i)e, oder Kuh(rie). Ausgenommen Mama natürlich.

Gelegentlich versucht das Duo durch neue Strophen den Liedern einen aktuellen Bezug zu verleihen. Dann tauchen Reizwörter wie „Umwelt“ auf oder Hinweise darauf, was nach 1933 geschah. Doch schon der Ansatz wird jeweils schnell wieder in Gefälligkeit erstickt. Der Abend klingt aus mit einer großen, der Jahreszeit entsprechenden Euphorie – dem bekannten Aufklärungslied für Veronika. Aber auch das kann nichts daran ändern: Irgendwann wird auch die bessere Kopie der besten Kopie der Kopie einer Schnulze langweilig. Waltraud Schwab

Bis 31. 3., 21 Uhr, Unart, Oranienstraße 163, 614 20 17.

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