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SanssouciVorschlag

■ Affäre Huhn: Reiner Kröhnerts multiple Freestyle-Parodien

Als Wörner tot war, dachte ich: Schade – jetzt kann Kröhnert ihn nicht mehr parodieren. Doch so schlimm ist das nicht, denn Kröhnert kann noch ganz andere: Sogar Peter Hintzes tuntige Nölerei trifft er exakt und verkündet schleimspurtreu Politstatements, als wären es Weihnachtsgedichte. Nach einer halben Stunde füllt plötzlich die halbe Regierung die Bühne, und auch Daniel Cohn-Bendit ist dabei und hat sich wieder einmal vorgenommen, alles und jeden kaputtzutalken, denn: „Draußen ist Revolution!“ Kröhnert macht multiple Freestyle-Parodie, die einen roten Faden nicht braucht, sondern gerade dann am schönsten ist, wenn sich schaurige Duette bilden. Eben noch gibt Engholm sein politisches Prosagedicht „Zu schön für Bonn“ zum besten, schon knödelt Stoltenberg eine paramilitärische Ode an die bezopften Maiden aus der Lüneburger Heide. Auch Volker Rühe kommt so nordisch by nature, daß man sich nur ungern daran erinnert, welches Regierungsamt er eigentlich ausübt.

Kröhnert braucht keine Verkleidung, sicher trifft er Duktus und Wortmelodie seiner Helden. Stets mit Freude an der kleinen linkischen Geste, die oft schon den ganzen Politiker ausmacht: Engholms folkloristische Bedächtigkeit und Blüms kumpelhafte Kackstellung, aus der heraus er Heidegger und den Dalai Lama rezitiert. Auch bei Roman Herzog dekliniert Kröhnert Körpersprache und Dialekt ins Real-Debile und läßt ihn nicht nur nach jedem mißlungenen Mutterwitz zähnebleckend in die Runde lachen, sondern sein Dumm-Bayerisch regelrecht zerbeißen.

Nur durch Feinjustierung der Gesichtsmimik wechseln sekundenschnell die Charaktere. Tatsächlich ist Boris Becker ja nicht wegen seines Sprachfehlers so lustig, sondern weil er nach durchstottertem Interview immer guckt, als seien ihm seine eigenen Geistesblitze nicht ganz geheuer. Auch er ist Dauergast bei diesem Talk im Turm im Irrenhaus, gewohnt atemlos moderiert von Erich Böhme, der mit erschöpfter Motorik alles auf den Punkt bringt: „Ich will das mal zusammenfassen.“

Wie wenig Kröhnert an seiner mühsam gestrickten Geschichte um ein ermordetes Huhn aus Rühes Legebatterie liegt, zeigt sich immer dann, wenn er bewährte Highlights aus seinem Fundus kramt. Dann feiert selbst Erich Honecker fröhliche Auferstehung und fährt als delirierender Pelzkappenzombie in Rita Süßmuth, um von „antifaschiiissischen Schutzwall im Himmel“ zu schwärmen. Oliver Gehrs

Bis 12. 5. Mi.–So., 20.30 Uhr, Mehringhof-Theater, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg. Kartenreservierung: Telefon 6915099

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