Sanssouci: Vorschlag
■ Lambchop im Loft: Das Sandkorn im Yankee-Doodle-Getriebe
Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre muß Nashville, so wollen es jedenfalls die Legenden, eine ziemlich aufregende Stadt gewesen sein. Schon damals war das Kaff in Tennessee zum bloßen Synonym für die in Erstarrung befindliche Country-Musik verkommen, also machten sich einige Revolutionäre daran, mit schmeichelnden Streichern und überbordenden Chören das Landei Country zur Las-Vegas-Show umzubauen. Die Folgen sind heute noch spürbar: Zum einen in erbitterten Diskussionen über den Zeitpunkt des Sündenfalls, zum anderen im großen kommerziellen Erfolg. Einer jener Pioniere hieß Chet Atkins, und der ist der gar nicht heimliche Held von Kurt Wagner.
Kurt Wagner wiederum lebt heute in Nashville, einer Stadt, die an der Reproduktion der immer gleichen Klischees inzwischen prächtig verdient. Also betreibt Wagner mit seiner Band Lambchop die Wiedergeburt jener mehr als dreißig Jahre alten Aufbruchstimmung, und die Plattenfirma träumt schon vom „New Nashville Sound“. Dem aktuellen Country-Superstar Garth Brooks hat Wagner das Liedchen „Garf“ geschrieben und darin die Hoffnung formuliert, irgendwann dessen Platz in den Charts einzunehmen. Diese Hoffnung ist zwar nur teilweise ironisch gemeint, aber natürlich völlig unrealistisch, denn solange die Yankee-Doodle-Maschinen noch auf Hochtouren laufen, ist eine Band wie Lambchop nur ein Sandkörnchen im Getriebe.
Ein allerdings wunderschönes Sandkörnchen, das Musik spielt, zu der man seine Liebsten streicheln möchte, wo sich Geigen und Saxophone ganz herzallerliebst in jede verfügbare Ecke kuscheln und gleich zehn Leute mit Steel-Gitarren, Banjo, Hammondorgel, Glockenspiel und Blockflöten zarte Tönchen hinhuschen, daß einem ganz schummrig im Kopfe wird. Trotzdem hat man absurderweise niemals auch nur einen Moment lang das Gefühl, der Kitsch könnte einen peinlicherweise übermannen, man fließt einfach widerspruchslos dahin und wird zu Wachs in Wagners Händen. Das liegt zum großen Teil an seiner Stimme, zum anderen an seinen Texten. Bei seinen Liedern, so hat er verraten, handelt es sich um „ernste Songs über trottelige Themen“. So erstirbt seine Stimme fast, wenn er gramvoll über die Qualitäten von Steaks sinniert. Und der ganze Aufwand nur, wie Wagner gern immer wieder verrät, um einen Weg zu finden, „würdevoll zu altern“. Den hat er wohl schon gefunden, während er uns auf das netteste einschläfert. Thomas Winkler
Heute, 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen