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SanssouciVorschlag

■ Ohne Grinseface: Neurosis und Unsane im SO 36

Gleich donnert harter Tobak aus den Staaten: Unsane und Neurosis gehören zu der Fraktion von Bands, die sich um musikalische Trends einen feuchten Kehricht scheren. Neurosis fabrizieren ihren Sound auf den Trümmern von (amerikanischem) Punk und Hardcore der mittleren Achtziger: Ausdauernd-monotone Krachschleifen und metallene, doomige und manchmal abstrakte Kriech- und Schleppmomente. Und damit ist die Band aus Oakland/Kalifornien schwerer in den Neunzigern verankert als man denkt: Graziös steigen Ahnungen an die Melvins auf, und alles wird gut. Was Neurosis neben ihrer Musik auszeichnet, meistens aber nervt, ist die Garnierung ihrer Live-Shows mit Film- und Diaprojektionen spektakulärer Untergangsszenarien, die den Sound mit der geeigneten Ideologie füttern sollen. Die Welt ist alles, was der Hippie nicht ist, und auch wenn der schon schwer in den Seilen hängt: Gegen Liebe, Frieden und Tanz mit Grinseface mögen Neurosis auch 1996 anspielen.

Unsane haben Erklärungsbedarf für ihre Songs weniger nötig: Der Name ist Programm. Frei von Hippiephobie leben sie in einer der größten urbanen Katastrophen der Welt, in New York, das sie mit Sinn für Galgenhumor auch Fun City nennen. Und damit ihnen das jeder glaubt, statten sie ihre Platten mit schockschwerenötiger Artwork aus: Das Cover ihres ersten Longplayers ziert ein auf den Bahngleisen liegender Mensch, nachdem der durchgefahrene Zug seinen Kopf vom Leib getrennt hatte. Blut muß hier fließen, egal wo: Trash und Splatter als analytische Verarbeitung des alltäglichen Wahnwitzes in der großen Stadt. Musikalisch betätigen Unsane das, indem sie mit einem spärlichen Line-up aus Gitarre, Baß und Schlagzeug für psychosenvernichtende Lautstärke sorgen, wobei sie eher so festgezurrt wie die früheren Helmet klingen als nach Today Is The Day. Daß man die Texte von Chefschreier und Gitarrist Chris Spencer dabei kaum hört, versteht sich von allein. Gerrit Bartels

Heute, 20 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Schwer in den Neunzigern verankert: Neurosis Foto: promo

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