Sansouci: Rundumschlag
■ Einkaufen, Folge 10: Aus Liebe in den Schlußverkauf
Und dann geht's nur noch um das Eine Foto: Volker Derlath
Eigentlich hatte alles mit der Liebe angefangen und mit dem dringenden Wunsch nach einem neuen Outfit. Es war gerade Sommerschlußverkauf, als mich das Verlangen packte, meine abgeschabten Jeans gegen schicke Kleider, meine T-Shirts gegen raffinierte Blusen und meine alte Stofftasche gegen etwas Damenhafteres aus Leder einzutauschen. Wobei tauschen nicht unbedingt das richtige Wort ist, denn so eine Kleiderschrankrevolution kostet eine Menge Geld – oder Mut zum Schlußverkauf.
Die damalige Liebe ist vergessen, meine Neigung zum damenhaften Chic hat sich gelegt, aber der Schlußverkaufsrausch ist geblieben. Im Laufe der Zeit habe ich mich zu einer regelrechten Schnäppchenjägerin entwickelt. Zweimal im Jahr ziehe ich durch die Kaufhäuser, und mittlerweile dürfte neunzig Prozent meines Garderobenbestandes aus reduzierter Ware bestehen. Ich predige meinen Freundinnen, es mir nachzutun. Aber bislang ist meine frohe Botschaft auf taube Ohren gestoßen. Man bestaunt mich als Kuriosum, freut sich an dem Zittern in meiner Stimme, wenn ich von einem ertragreichen Beutezug berichte. Selbst aber kauft man sich ein erlesenes Stück zu Beginn der Saison, was zwar einen Zeitvorsprung verschafft, aber die Haushaltskasse sprengt. Der besondere Reiz des Schlußverkaufs hingegen, die dialektische Verbindung von Kasteiung und Rausch, diese Lust an einer zügellosen Kauforgie nach mehrmonatiger Selbstbeherrschung – bei meinen Freundinnen kommt das nicht an.
Dabei liege ich, wie ich neulich bei einem Arztbesuch aus einem schon etwas speckigen Stern-Heft erfahren habe, voll im Trend. Schnäppchenjagd, das hört sich so nach Geiz, nach billigem Ramsch und einfach unsympathisch an. Das Wort ist völlig out. „Trend-Shopping“ dagegen, also Qualitätsware zu billigen Preisen zu kaufen, ist völlig in. Im süddeutschen Raum werden Busse gechartert, um bei günstigem Wechselkurs italienische Geschäfte leerzukaufen. Das finden wir natürlich widerlich. Da heißen wir lieber Schnäppchenjäger und kaufen am Ku'damm und in Neuköllner Kaufhäusern. Zu Weihnachten hat man mit Egoismus zu kämpfen. Gibt man sein Geld lieber für sich selbst oder lieber für die Liebsten aus? Am Ende ist man pleite. So oder so. Das ist immer das Problem. Michaela Schlagenwerth
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