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Sanfter Einstieg und neuer Tagesrhythmus

■ Das neue Schulgesetz soll zu Reformen ermuntern. Die GS Mümmelmannsberg ist eine Schule, die bereits andere Wege geht

„Was soll das? Bei uns ist doch gar nichts anders.“ Die kleine Ayla* (11) kann die Neugierde der Reporterin nicht verstehen. Unterricht ist Unterricht. Auch in der Klasse 5 der Gesamtschule Mümmelmannsberg. Montag, erste Stunde, die Schüler sitzen im Kreis. Der Lehrer reicht eine blaue Kugel herum, wer sie in der Hand hält, sagt, was er am Wochenende erlebt hat. „Wir ha'm beim Fußball 3:0 gewonnen“, prahlt Ismail*. „Wir hatten Verwandte zu Besuch“, erzählt Frank*. Da haben er und sein Cousin bis um ein Uhr nachts „Catschen“ geguckt.

Jeder Schüler kommt dran, jeder kann sagen, welche Filmmonster oder Fabelwesen ihn am Wochenende beeindruckt haben. So beginnt der „sanfte Einstieg“ in den Schulalltag, wie es die reformfreudigen Pädagogen an der Gesamtschule Mümmelmannsberg nennen. Montag galt früher als „Horror-Tag“, an dem die Schüler sehr unruhig waren. Würde der Gesprächskreis entfallen, würde im Unterricht trotzdem über Film und Fußball geredet.

Doch nicht nur die erste Montagsstunde, der gesamte Unterrichtsplan wurde an der Ganztagsschule im Südosten der Stadt ganz neu gestaltet, neu „rhythmisiert“, drückt Schulleiter Klaus Reinsch es aus. Der Schultag ist nicht mehr in sechs Stunden am Morgen und zwei am Nachmittag, sondern in abwechselnd kleine und große Portionen unterteilt. „Früher hingen die Schüler in der 6. Stunde in den Seilen, konnten sich kaum noch konzentrieten“, erinnert sich Wilhelm Koch-Burmeister, Abteilungsleiter der Unterstufe. Nach dem neuen Modell, das bereits zwei Jahre in den unteren Klassen erprobt wurde, soll auch noch in den Stunden 7 und 8 Matheunterricht möglich sein. Der Wechsel von „Anspannung und Entspannung“, so Reinsch, macht die Konzentration am Nachmittag möglich.

Der Tag beginnt mit Stunde Null, dem „offenen Einstieg“. Ab 7.30 Uhr sind die Klassenräume offen, ab zehn vor acht alle Lehrkräfte anwesend. Manche Lehrer nutzen diese Minuten zum Frühstück mit den Schülern. Die erste Stunde, Beginn 8.15 Uhr, dauert nur 35 Minuten. Laut Konzept steht hier für die drei untersten Klassenstufen 5 bis 7 jeden Montag die „Besprechung des Wochenplans“ auf dem Papier. Jedes Kind erhält eine Liste mit Aufgaben, die es jeden Tag nach der zweiten Stunde in der sogenannten „Arbeitszeit“ (AZ) erledigen soll: das Trainingsfeld fürs eigenständige Arbeiten, eine jener heute viel zitierten Schlüsselqualifikationen. Hausaufgaben gibt es nicht.

Es folgt ein doppelstündiger Unterrichtsblock, danach, 12.30 Uhr, beginnt die Mittagspause – eine Stunde früher als nach dem alten Muster. „Keinem Arbeitnehmer würde man zumuten, erst nach sechs Stunden Pause zu machen“, erläutert Direktor Reinsch die Verschiebung.

Die kleine innere Schulreform, die das Kollegium zunächst nur auf Probe eingeführt hat, stößt nicht überall auf spontane Begeisterung. „Manche Kollegen wollen lieber so weitermachen wie früher“, sagt Wilhelm Koch-Burmeister. Die Erfüllung der individuellen Wochenpläne zum Beispiel muß in der „AZ“-Stunde vom aufsichtführenden Lehrer abgezeichnet werden. Zensuren kennen die Fünft- und Sechskläßler schon seit 1988 nicht mehr. Für erledigte Aufgaben gibt es ein lachendes Gesicht, für fehlende einen trauriges mit schiefem Mund. „Früher konnte ich den Schülern mehr helfen. Jetzt bin ich nur noch mit Abzeichnen beschäftigt“, klagt ein Lehrer, der von Schülern umringt ist, die „Smilies“ begehren. Er habe früher nach dem Prinzip gearbeitet, „Vertrauen ist gut, Kontrolle wird gelassen“. Immerhin räumt der Pädagoge ein, daß die Schüler diese Art der Rückmeldung bräuchten.

„Es ist spürbar, daß Schüler, die nach der Wochenplan-Methode gelernt haben, auch später eigenständiger arbeiten“, sagt Koch-Burmeister. Doch je höher die Stufe, desto enger die Spielräume für alternative Unterrichtmethoden wie etwa den im neuen Schulgesetzentwurf vorgeschlagenen fächerübergreifenden Unterricht. Dies liegt nicht etwa an Hamburger Gesetzen, sagt Klaus Reinsch, sondern an den strengen Vorgaben der Kultusministerkonferenz für die Anerkennung von Realschulabschlüssen. Die schreiben vor, ab Klasse 9 in allen Pflichtfächern außer Politik in Leistungsgruppen zu differenzieren. Um nach fachübergreifenden Bildungsplänen zu unterrichten, bräuchte man aber identische Lerngruppen, deren Zusammensetzung nicht stündlich wechselt.

Ingesamt steht die Schulleiter-Crew weiteren Reformsprüngen skeptisch gegenüber. Reinsch: „Genau die Stunde Arbeitszeit, die uns jetzt genommen wird, könnten wir gut brauchen“. Die Entwicklung weiterer neuer Unterrichtspläne, etwa wie der an den Waldorf-Schulen übliche Epochen-Unterricht, würde Kapazität binden. Schon für die Rhythmisierung habe man „irre viel Zeit investiert“. Kaija Kutter

*Namen geändert

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