Sammlerpaar Pietzsch fordert Ausstellungsräume: In der Sammlerfalle
Das Ehepaar Pietzsch will Berlin seine Kunstsammlung schenken. Das wäre super, sagt Klaus Wowereit. Doch die Pietzschs stellen kleine, aber feine Bedingungen.
Als ob Berlin nicht schon genug Probleme mit seinen Museen hätte: Das Pergamonmuseum gleicht einer Baustelle. Das geplante Humboldt-Forum auf dem Schlossplatz ist zu Eis erstarrt. Am Kulturforum zanken sich die Kulturpolitiker und Museumsdirektoren über dessen zukünftiges Profil. Und wo die neue Kunsthalle für die junge Szene einmal das Licht der Museumswelt erblicken wird, weiß niemand.
Dass sich das Land in dieser Situation ein weiteres Museumsprojekt ans Bein bindet, erscheint angesichts des Gesagten fast paradox. Als vor zwei Wochen das Ehepaar Ulla und Heiner Pietzsch Berlin und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) anbot, ihre Sammlung surrealistischer Kunst zu schenken, sofern Berlin "geeignete Räume bereitstellt", kam die Zusage unverzüglich.
Klaus Wowereit und Kulturstaatssekretär André Schmitz zeigten sich "begeistert" angesichts der Aussicht, mehr als 60 Werke unter anderem von Miro, René Magritte und Max Ernst, Jackson Pollock und Mark Rothko für Berlin zu gewinnen. Die Exponate wären eine "wunderbare Ergänzung der Berliner Sammlungen", jubelte Schmitz. Die Pietzsch-Sammlung müsse "unbedingt gehalten werden", damit nicht Mitinteressent Dresden - Heiner Pietzschs Geburtsstadt - sich die Kunst unter den Nagel reißt.
Hermann Parzinger, der Präsident der Preußen-Stiftung, hatte auch schon einen Präsentationsort parat, nämlich ungenutzte, wohl mit Erde "verfüllte" 1.300 Quadratmeter große Räume im Sockelgeschoss der Neuen Nationalgalerie. Die Nationalgalerie am Kulturforum, lockte Parzinger, "wäre ein hervorragender Ort für die Sammlung Pietzsch und die Kunst der klassischen Moderne".
Noch am Montag vergangener Woche hatte Schmitz die Richtung vorgegeben, wie es weitergeht: Es werde "jetzt geprüft, welche Kosten und Arbeiten ein Ausbau der Neuen Nationalgalerie bereiten würde" und ob der Bund gewillt sei, sich an den Investitionskosten zu beteiligen. Am heutigen Dienstag wollen die SPK und der Direktor der Neuen Nationalgalerie, Udo Kittelmann, Auskunft darüber geben, ob sie die Pietzschs 2010 wirklich auf der Rechnung haben.
Ein gewichtiger Grund für die Dynamik liegt sicherlich in der besonderen Qualität der Sammlung Pietzsch. Heiner und Ulla Pietzsch sind Kunstkenner und nicht Profiteure des Kunstbetriebs. Sie konzentrierten sich auf eine ausgesuchte Kollektion des Surrealismus sowie der Moderne und zeigen deren Wirkung unter anderem auf die amerikanische Nachkriegskunst.
Ein anderer Grund für die offene Liaison zwischen den privaten Sammlern und den großen Museumsinstitutionen, den Staatlichen Museen und der SPK, besteht in der Sammlungs- und Ankaufspolitik der Häuser. Angesichts leerer Kassen gilt seit den 1990er-Jahren die Strategie "Sammler sammeln", die Peter-Klaus Schuster, bis Ende 2008 Chef der Staatlichen Museen, ausgegeben hatte. Die Sammlungen von Marx, Newton, Flick und Berggruen hängen seither als Dauerleihgabe oder Schenkung an Berliner Wänden. Für sie wurden millionenteure Ausstellungshallen gebaut, wie der Kleihues-Flügel am Hamburger Bahnhof oder die Rieckhallen für die Flick-Collection.
Bis heute verfolgen die Staatlichen Museen diesen Weg. Sie tun dies ungeachtet der berechtigten Kritik, dass dieser Sammelmethode kein wirkliches kuratorisches Konzept zugrunde liegt. Die Museen kämen ihrem Bildungsauftrag nicht mehr nach, klagte etwa die Akademie der Künste. Opportunismus gegenüber dem Mäzenatentum lautet ein anderer Vorwurf. Im Falle Friedrich Christian Flicks, dem vorgeworfen wurde, seine Kunst mit ererbtem "Blutgeld" aus dem einstigen NS-Rüstungskonzern erworben zu haben, hätte Berlin, statt sich zu distanzieren, sich regelrecht "kaufen" lassen.
Schließlich, und damit wären wir wieder bei der Sammlung Pietzsch, beinhaltet die scheinbare Symbiose der Museen mit den Sammlern in Wahrheit Sprengstoff: Die Kunstsammlung gibt es nur, so der "Wunsch" der Sammler, wenn für die Schenkung ein eigenes Museum bereitgestellt wird, das entweder die öffentliche Hand finanziert oder das zu den eigenen Bedingungen gebaut werden kann. Das ist der Deal - ob in Berlin, bei der Sammlung Ludwig in Köln oder Brandhorst in München.
Funktioniert das Geschäft nicht, gibt es auch keine Kunst. Wie zuletzt bei der Sammlung des jungen Nicolas Berggruen. Der hatte 2008 die seiner Ansicht nach "harten Auflagen" der Behörden im Zusammenhang mit dem geplanten Museum für seine zeitgenössischen Exponate attackiert. Berlin mache "utopische Bauauflagen" für ein mögliches Projekt am Hauptbahnhof, so der Sohn des verstorbenen Kunstsammlers Heinz Berggruen, dessen Kollektion am Charlottenburger Schloss hängt. "Berggruen junior ist derzeit kein Thema hier im Hause", ätzte ein Mitarbeiter der Kulturverwaltung zur taz.
Damit bei Pietzsch die Schenkung nicht schiefgeht, übt sich Berlin - wie bei der Flick-Collection - wieder in vorauseilendem Gehorsam, begibt sich in Abhängigkeiten und macht ohne Not weitreichende Versprechungen. Es sind Versprechungen finanzieller, baulicher, sogar konzeptioneller Natur.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Sammlung Pietzsch wäre für Berlin ein kunsthistorischer Gewinn. Der reiche Schatz klassischer Moderne käme zugleich der Öffentlichkeit zugute. Auch die Option in der bislang zu beengten Neuen Nationalgalerie assoziiert eher Bescheidenheit als mäzenhafter Größenwahn.
Problematischer erscheint dagegen, dass der Schenkung ein paar Forderungen innewohnen, die Berlin, der Bund und die SPK leichtfertig übersehen und die sie stattdessen in den Zustand der Erpressbarkeit versetzen könnten. Denn Heiner Pietzsch ist ein kluger Mann. Er war auch ein erfolgreicher Unternehmer und spielt geschickt die Klaviatur des Geschäfts: So unterstützt Pietzsch die Idee der Staatlichen Museen einer Rochade der Gemäldegalerie Alte Meister in einen Neubau an der Museumsinsel. Damit würde ein großes Museum am Kulturforum frei für die Sammlungen der Klassischen Moderne. Der Haken daran ist nur, dass angesichts der Gesamtkosten von 70 Millionen Euro das Projekt auf die lange Bank geschoben worden ist.
Heiner Pietzsch aber hat seine eigenen Vorstellungen, und damit wächst der Druck. So habe es bereits Gespräche mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann gegeben, sagt Pietzsch. Gedacht sei an einen Erweiterungsbau. Zugleich fürchte er, dass nach einer möglichen Sanierung plus Umbau die Neue Nationalgalerie zu klein sei - und forderte just ein "Museum des 20. Jahrhunderts" im Kulturforum, von der dann auch seine Sammlung "ein Teil sein" könne. Großes soll also her. Und Berlin sagt eilfertig zu, sich um die Finanzierung, den Standort und das Museumskonzept zu kümmern.
Angesichts der Euphorie auf der einen und der Forderung auf der anderen Seite haben die Kulturpolitiker von CDU, FDP und Grünen Bedenken angemeldet. "Wie realistisch" das ganze Vorhaben denn überhaupt sei, fragte vergangene Woche Alice Ströver (Grüne), und welche Bedingungen daran geknüpft seien. Über die "Perspektiven eines Neubaus am Kulturforum" und dessen Neupositionierung wollte auch Uwe Lehmann-Brauns (CDU) mehr wissen. Absichtserklärungen statt Antworten folgten.
Da fragt es sich - weil auf beiden Seiten die großen Wünsche nur die besten sind -, ob die Sammlung Pietzsch nicht auch günstiger zu haben ist. Vielleicht ohne Großbaustellen und Umzugsgetöse. Nur geschenkt. Der Satz des Verlegers und Großsammlers Lothar-Günther Buchheim ("Das Boot") wäre ein möglicher Anfang: "Kunstwerke von gewissem Rang gehören nicht in die vier Wände eines privaten Besitzers."
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