Sahin-Scholl will zu Eurovision Song Contest: Mix aus Ledertranse und Pavarotti
RTL-"Supertalent"-Sieger Freddy Sahin-Scholl traut sich. Er möchte für Österreich beim Song Contest gegen Lena antreten. Doch Stimmlagen wie seine fielen immer durch.
Ob die Tränen des Publikums echt waren oder durch unter die Augen gesalbtes Glyzerin provoziert - Freddy Sahin-Scholl, 57 Jahre, ließ sein Auditorium ergriffenst heulen, als er im Finale der RTL-Show "Supertalent" seine Vokalisen anstimmte. Es klang, nüchterner betrachtet, wie eine Mixtur aus Anneliese Rothenberger, Susan Boyle, Paul Potts und einer Ledertranse, die beim Fasching den Pavarotti gibt. Im Netz reüssiert vor allem sein Lied "Carpe diem" - Genieße den Tag!
Aber Sahin-Scholl, Spross einer deutsch-amerikanischen Beziehung der Fünfziger, will über den Tag hinaus, der Dieter-Bohlen-bewirkte Ruhm reicht ihm nicht: Er hat sich beim österreichischen TV-Sender ORF für den dortigen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC) angemeldet. Nun wird er als Herausforderer der deutschen ESC-Siegerin Lena Meyer-Landrut ausgelobt - die will am 14. Mai in Düsseldorf ihren Sieg wiederholen.
Dieser Showdown wird allerdings nicht so schneidig-glatt funktionieren. Zunächst muss der Mann, der in Karlsruhe lebt, aber weiters in Wien einen Wohnsitz hat, im Februar überhaupt ins Finale der austriakischen ESC-Qualifikation gelangen. Danach müsste er in einem der Semifinals (10. und 12. Mai) den Sprung ins Finale schaffen. Österreich nahm zuletzt 2007 am ESC teil und schied mit einem ästhetischen Desaster namens Eric Papilaya bereits in der Vorrunde aus. Beleidigt zeigte sich der Staatssender ORF erst nach Lena Meyer-Landruts "Satellite"-Sieg in Oslo am ESC wieder interessiert - auf Europas wichtigstem Marktplatz des Pop, beim größeren, hassgeliebten Nachbarn Deutschland, wollte man dann doch nicht fehlen.
Gewänne allerdings Sahin-Scholl die Fahrkarte nach Düsseldorf, müsste er ein anderes Liedgut als seine üblichen Schmachtschnulzen wählen: Sopran-Bass-gemischte Stimmlagen fielen in den vergangenen Jahrzehnten beim ESC stets durch. Vorruhm brachte auch nix. Wer im eigenen Kulturraum berühmt ist, ist schon im Nachbarland ein Nobody.
Lena Meyer-Landrut nämlich gewann, weil sie in der Minute ihres Auftritts so gut war wie nie - sie hatte Hunger aufs Gewinnen, nicht Angst vor der Leere nach dem Triumph. Freddy Sahin-Scholl jedoch scheint das Übliche nach RTL-Siegen Marke Bohlen zu fürchten: die künstlerische Zukunft mit dem Segen des Maestros der prolligen Geschmäcker bereits hinter sich zu haben.
Das könnte auch die Krux von "lovely Lena" (BBC) sein: dass sie schon alles erreicht hat und nur nicht gewinnen kann. Ihre Vorentscheidung - sie singt zwölf Lieder, aus denen das Publikum eines für Düsseldorf auswählen wird - beginnt am 31. Januar in Köln, bei Pro7.
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