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Archiv-Artikel

american pie Sag niemals nie

Rafael Palmeiro ist der prominenteste Dopingsünder der Major League Baseball – und der unverfrorenste

Im Hochsommer ist der amerikanische Sportkalender mitunter etwas ausgedünnt. Die Basketballer pflegen ihre Blessuren, die Footballer bereiten sich noch auf die kommende Spielzeit vor und die Eishockey-Spieler streiken gerade oder vielleicht auch nicht, aber das interessiert schon lange niemanden mehr. Es ist nicht allzu viel los, nur die Boys of Summer gehen der National Pastime nach, oder anders gesagt: Die Baseball-Saison ist im Gange.

So auch in Baltimore, wo sich die heimischen Orioles nur mehr vage Hoffnungen auf eine Teilnahme an den Play-offs machen. Am vergangenen Sonntag traf man im heimischen Stadion Camden Yards auf die Toronto Blue Jays und lag kurz vor Schluss knapp zurück, als Rafael Palmeiro an die Home Plate trat. Das Publikum feuerte seinen Helden mit „Raffy, Raffy“-Sprechchören an, der Held holte aus, um das Spiel mit einem einzigen Schlag zu gewinnen – und versagte. Trotzdem erhielt Palmeiro freundlichen Abschiedsapplaus.

Nichts Besonderes in einer 162 Spiele währenden Saison. Sollte man meinen. Doch nicht in diesem Fall: Denn es war Palmeiros Auftritt nach einer zehn Tage währenden Sperre. Eine Baseball-Spielzeit kann bekanntermaßen zu einer eher langwierigen, zähen Angelegenheit geraten, aber in diesem Jahr wird die Veranstaltung aufgelockert mit Dopingdiskussionen, die sogar zu einem Untersuchungsausschuss vor dem amerikanischen Kongress führten, wo einige der größten Stars des Sports eine unglückliche Figur abgaben. Denn für diese Spielzeit hatte Major League Baseball (MLB) die Kontrollen so verschärft, dass sie nicht mehr vollkommen zahnlos sind wie noch in den beiden vergangenen Jahren, als erstmals in der nahezu 140-jährigen Geschichte des Baseball überhaupt getestet wurde. Prompt wurden in diesem Jahr bereits acht Sünder überführt. Prominentester Name: Rafael Palmeiro.

Der im kubanischen Havanna geborene Palmeiro galt bis vergangene Woche aufgrund seiner Statistiken, die er in 20 Jahren eher unspektakulär angesammelt hatte, als sichere Bank, in die Hall of Fame gewählt zu werden: Er ist einer von nur vier Spielern in der Baseball-Geschichte, die mindestens 500 Homeruns und 3.000 Hits zustande gebracht haben, ein fleißiger und skandalfreier Vorbildprofi, dessen blütenweißes Image sogar einen Werbevertrag für Viagra verkraftete. Doch dann fand man in seinem Blut Spuren von Stanozolol, demselben Anabolika, dank dem schon die Muskeln des kanadischen Olympiasiegers Ben Johnson geschwollen waren. Besonders pikant: Während andere Stars sich bei den Anhörungen vor dem Kongress sichtlich um konkrete Aussagen herumgewunden hatten, nutzte der 40-jährige Palmeiro am 17. März die Gelegenheit zu einem hollywoodreifen Auftritt. Er wedelte mit dem Finger in Richtung der Abgeordneten und donnerte im Brustton der Überzeugung: „Ich habe niemals Anabolika genommen. Niemals.“

Abgesehen davon, dass Palmeiro nun eine Anklage wegen Meineides droht, erinnern die Geschehnisse doch sehr an ähnliche Vorkommnisse auf dieser Seite des großen Teiches. Abgesehen von bereits zurückgetretenen Profis wie Jose Canseco, der seine Biografie mit Doping-Geständnissen und Anschuldigungen zu verkaufen versucht, spielen in den USA alle Ertappten weiterhin den vollkommen überraschten Unschuldigen und geben oft nicht einmal das zu, was ihnen zweifelsfrei bewiesen werden kann; gern nennt man belastete Nahrungsergänzungsmittel als Grund des positiven Befunds.

Mittlerweile ließ Palmeiro verlauten, er könne das alles erklären, nur der Zeitpunkt für eine Klarstellung wäre gerade etwas unpassend: „Aber der Tag wird kommen, an dem ich sagen kann, was passiert ist.“ Und fügte schließlich hinzu: „Es geht darum, alles zu verdrängen und sich darauf zu konzentrieren, erfolgreich zu sein.“ Wie das geht, scheint Palmeiro zu wissen. Und in Baltimore haben sie ihm ja bereits wieder vergeben.

THOMAS WINKLER