Sag mir wo die LINKE ist...

■ betr.: "Vorwand und Anlaß", Gastkommentar von Joschka fischer, taz vom 14.9.90, "Eine Art grüner, weichgespülter Imperialismus", Interview mit Dieter Hummel, taz vom 13.9.90, "Revolutionsromantik oder ...

betr.: „Vorwand und Anlaß“, Gastkommentar von Joschka Fischer, taz vom 14.9.90, „Eine Art grüner, weichgespülter Imperialismus“, Interview mit Dieter Hummel, taz vom 13.9.90, „Revolutionsromantik oder Neuformierung“ (Ein Jahr Bürgerbewegung Demokratie Jetzt),

taz vom 10.9.90

Die nicht mehr zu verhindernde Wiedervereinigung lenkt den Blick auf die Vergangenheit, zieht auch die Linke in Richtung alte Traditionen. Wen verwundert da die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Grünen und PDS? Abhaken unter dem Thema linke Identitätsprobleme? Ja, das würde ich am liebsten tun, wenn ich mich nicht so ärgern würde.

Weder Revolutionsromantik noch Neuformierung, Utopien erstrecken sich heute scheinbar auf die Fragestellung, welcher Partei Linke angehören sollen: Antikapitalistische Politik und radikale Oppositionshaltung reduziert auf die Diskussion von Parteiangehörigkeit und Parteiprogramm!

Vorwürfe, die die Linken, die Linker als die übrigen Linken zu sein meinen, den Linken machen (aktuelle Auseinandersetzung Grüne- PDS), bleiben dem Herrschaftsdenken unserer politischen Kultur verhaftet, das die Mitwirkung des Bürgers an der Gestaltung des Staates über Parteien abhandelt.

Die Grünen sahen ihre Partei in ihren Anfängen als Vertretung und langen Arm von Bürgerbewegungen. Basisdemokratie war ihre Parole. In dem Beitrag von J.Fischer geht dieser Unterschied genauso verloren, wie er den Grünen ingesamt verloren zu gehen scheint.

Den Schritt von der Einheitspartei zum Mehrparteiensystem nehme ich dem SED-Wurmfortsatz PDS ja auch noch ab. Doch das reicht doch heute nicht mehr aus, um links zu sein. Oder doch?

Wenn die PDS auch nur ansatzweise die außerparlamentarische Opposition drüben vertreten würde, könnte ich die Hoffnung der Linken verstehen, die den Grünen ihre „Rechtsentwicklung“ vorhalten und die Alternative in der PDS sehen.

Wenn die Linken, die Linker als die übrigen Linken zu sein meinen, sich den Sachzwängen des Systems, dem Problembewältigungsautomatismus, der Betriebsblindheit und dem ideologischen Scheuklappenhistorizismus entgegenstellen würden und sich oppositioneller Solidarität statt imperialistischer Schlammschlachten zuwenden würden, würde der Begriff links und Linke vielleicht endlich wieder eine Utopie werden, die Kräfte bindet und dem weltweiten Ausbeutungssystem Paroli bietet.

Mehr Demokratie heißt nicht mehr oder bessere Parteien, sondern Herrschaft des Volkes. Und die wird weder durch Nationalismus noch Kadersozialismus, weder Einparteien- noch Mehrparteienstaat, sondern nur durch emanzipatorischen linke Politik organisiert, die eine radikale demokratische Opposition im Sinne der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt, verlangt: „Opposition als umfassende und legitime demokratische Aufgabe der Gesellschaft — nicht als Teil, als Partei des Parlaments, sondern dem Parlament gegenüber“ vielleicht sogar als Vertreter permanenter Revolution mit der Entwicklung einer grundsätzlichen Alternative zum parlamentarischen Regierungssystem beschäftigt, anknüpfend an die Linken von 68, die zum Beispiel mit Rudi Dutschke die Abschaffung des Parlamentarismus forderten. Christine Gugel, Nürnberg