Sängerin Beth Ditto: Die Fetten nach vorn!
Politisch kompromisslos, lesbisch und sexy: Die "Queen of Cool" Beth Ditto spielt mit ihrer Band The Gossip drei Konzerte in Deutschland.
B eth Ditto gibt es eigentlich nicht. Denn eine Erscheinung wie die kleine, kugelrunde und rotzfreche Sängerin der Band The Gossip ist im Showbusiness bislang einfach nicht vorgesehen gewesen. Nicht nur, dass das an die liberale amerikanische Westküste geflüchtete Landei aus Searcy, Arkansas, offen lesbisch, seit Jahren glücklich mit einem Transmann verbandelt und offensiv feministisch plus fett ist. Nein, sie ist dabei auch noch unverschämt sexy. Bei ihren Auftritten quellen Speckröllchen aus den hautengen Glamour-Outfits, die sie selbst näht oder von queeren Punks anfertigen lässt. Manchmal wirft sie sogar die ab, um am Ende nur noch in Unterwäsche über die Bühne zu toben. Eigentlich würde schon eines dieser Attribute genügen würde, eine Popmusikerin in die staubtrockenen Ecken ewiger Undergroundbeliebtheit zu verbannen. Aber Beth ist ein Star. Zumindest ein Tabloid-Star, in England, wo bekanntlich in allen Dingen Pop die Nasen weiter vorne getragen werden.
Ein Wunder eigentlich - das auch etwas mit dem ebenfalls als Wunder zu sehenden Titelbild einer der letzten Ausgaben der marktführenden britischen Popzeitschrift New Musical Express zu tun hat. Nachdem sich nämlich die Sängerin Lily Allen in ihrem Weblog aufgeregt hatte, dass eines der seltenen "Frauencover" mit ihr selbst, Karen O von den Yeah Yeah Yeahs und Beth Ditto im letzten Moment zugunsten eines Titels mit den Pathosrockern Muse gekippt wurde, reagierte das Magazin überraschend: Auf der Ausgabe vom 2. Juni war Beth Ditto in all ihrer üppigen, tätowierten, geschminkten und achselbehaarten Glorie zu sehen - splitterfasernackt.
Wenn es auch fragwürdig ist, dass Frauen sich nach wie vor für erhöhte Aufmerksamkeit ausziehen müssen, ist der Effekt dieses Bildes in seiner Signalwirkung doch unschlagbar. Das Foto von Ditto, vom NME ehrfürchtig die "Queen of Cool" genannt, ist so radikal, dass man fast auf einen Paradigmenwechsel in der oberflächenbesessenen Popkultur hoffen mag - oder zumindest im Leben jener Frauen, die unter dem zu leiden haben, was Ditto "fat phobia" nennt. Der NME lässt es sich dann zwar nicht nehmen, Beth im Interview ihren neuen Celebrity-Status und ihre Freundschaft mit Kate Moss - die die britische People-Presse auch schon länger gern begleitet - vorzuwerfen: Wie könne sie unter diesen Umständen noch glaubhaftere Vertreterin von Punk und "fat pride" sein?
Die Musikerin, deren Charisma-Geheimnis ihre Unverblümtheit ist, bleibt smart und selbstbewusst. Nicht diejenigen, die unter der Schönheitsmaschinerie leiden, seien anzuprangern, sondern die Maschine selbst. Und der Sell-out-Vorwurf? Kommt laut Beth stets von weißen Heteromännern, denen die ganze Welt in einer Weise bequem offensteht, von der ein armes, dickes, lesbisches Mädchen aus einem Kuhkaff im Bibelgürtel, in dem MTV als zu freizügig verboten war, nur träumen kann. Auch für ihre BandkollegInnen, Drummerin Hannah Blilie und Gitarrist Nathan Howdeshell, ist das kompromisslose Bestehen auf den politischen Inhalten die Essenz der Gruppe.
Die beiden, die von dem Berühmtheitskult rund um ihre Sängerin zu deren Bedauern ziemlich in den Schatten gedrängt wurden, stehen ihr in puncto Radikalität in nichts nach. In einem Interview vor eineinhalb Jahren äußerte Nathan, es sei ihm wichtiger, in einer Band mit zwei progressiven Lesben zu spielen, als in einer Jungsband à la Franz Ferdinand oder Maxïmo Park zu reüssieren, denen es im Wesentlichen doch wieder nur um angekratzte Heteromännerbefindlichkeiten gehe und wo darüber geweint werde, von der Freundin verlassen worden zu sein. Dafür verzichte er auch gerne auf die maximale Breitenwirkung.
Wahrscheinlich ist er selbst überrascht, dass die Breitenwirkung jetzt da ist - zumindest in Großbritannien. Aber auch hierzulande laufen Indie-Hits wie "Standing In The Way Of Control", in denen Beth mit ihrer Aretha-Franklin-Stimme über donnernden Kuhglocken-Wave-Punk-Blues röhrt, mittlerweile in jeder besseren Diskothek. Und wenn Beth Ditto, die mit ihrer Performance zwar alle an die Wand spielt, ohne die es die Band aber so nicht gäbe, auf ihren drei Deutschlandkonzerten wieder wie eine vor Energie berstende kleine Tonne über die Bühne fegt, mit Tampons und Kirschsaft um sich wirft und Sätze ins Publikum ruft wie "Ich hoffe, alle Fetten werden heute noch flachgelegt!", dann müsste sich doch auch Dunkeldeutschland von diesem Politik-cum-Charme-Brett umnieten lassen.
Gossip live: 2. 7. Berlin (Columbiaclub), 3. 7. Köln (Gebäude 9), 4. 7. Hamburg (Uebel & Gefährlich)
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