: Säkularisierte Erbauung
KLOSTER Ins katalanische Santes Creus, nach Poblet oder Vallbona kommen Ruhebedürftige und Sinnsucher
■ An die 200 Klöster in ganz Spanien bieten derzeit Übernachtungsmöglichkeiten. Allein in Katalonien finden sich ein Dutzend zum Meditieren oder einfach Entspannen. Komfort, Freizeitangebote und Preise variieren beträchtlich.
VON GÜNTER HERKEL
Vallbona de les Monges wirkt ein wenig wie aus der Welt gefallen. Keine Menschenseele in den staubigen Gassen des 250-Seelen-Dorfes. Kein Laden, keine Kneipe, nichts. Klopfen. Ein Bediensteter öffnet das Tor. Überraschenderweise ein Mann. Carlos. Er dient in Santa María de Vallbona, dem 850 Jahre alten Frauenkloster in der katalanischen Provinz Lleída im Nordosten Spaniens.
Das Tor fällt ins Schloss und der Gast befindet sich in einer anderen Welt. Romanischer Kreuzgang, skulptierte Wappenschilder im Kapitelsaal, die Abteikirche mit dem Grab von Königin Violante von Ungarn, der zweiten Frau von Jaume I. Seit 1931 firmiert das Kloster als nationales Kulturdenkmal. Im Jahr 1936 flohen die Nonnen vor den klerusfeindlichen Republikanern. Drei Jahre später kehrten sie zurück in ein Gotteshaus, in dem Orgel und Tafelbilder fehlten – von Soldaten verbrannt, zum Schutz gegen die Kälte. Heute leben noch zehn Nonnen in Vallbona. Nach dem Prinzip von San Benito: Ora et labora. Der Klosterbetrieb ist streng arbeitsteilig organisiert: Schlüsseldienst, Putzen, Kochen, Wäsche. Achtzehn Gästezimmer vermieten die Nonnen, spartanisch eingerichtete Zellen zu wahrhaft christlichen Preisen. „Unser Gasthaus ist zum Lesen, Denken und Beten da“, sagt Madre María Federíca. Sie ist fast 80 Jahre alt, 54 davon lebt sie an diesem Ort.
Alle, auch Männer und Paare, sind willkommen, solange sie die Regeln des Hauses respektieren. Oberstes Gebot ist absolute Ruhe. Plärrende Handys sind unerwünscht, Fernseher gibt es nicht. Wie zum Gegenbeweis klingelt es und Federica zieht mit einem verlegenen Lächeln ein Mobiltelefon aus einem selbst gestrickten Handysäckchen. Wer will, darf an den religiösen Ritualen teilnehmen. Den Zeitplan im Gotteshaus bestimmen die täglichen Gebete, das erste, maitines, frühmorgens um sechs Uhr, das letzte, completas, um 21.20 Uhr. Danach Bettruhe.
Südlich von Vallbona befinden sich zwei weitere Zisterzienserklöster, Santes Creus und Poblet. Gegründet fast gleichzeitig in einem Gebiet, das im 8. Jahrhundert von Mauren eingenommen und zwei Jahrhunderte später von dem Grafen Barcelonas rückerobert wurde. Die drei Klöster liegen nur 30 Kilometer voneinander entfernt. Findige Tourismusmanager vermarkten sie deshalb als Ruta del Cister.
In Santes Creus lebt derzeit keine Klostergemeinschaft; im ehemaligen Schlafsaal der Mönche finden im Sommer klassische Konzerte statt. Die Königliche Zisterzienserabtei Santa María de Poblet ist die größte und bedeutendste Anlage. „Sie treten ein Weltkulturerbe mit Füßen“, scherzt Führerin Montse, während sie mit Besuchern durch Kapitelsaal, Refektorium und Bibliothek streift. Seit 1991 trägt Poblet den von der Unesco verliehenen Titel. Noch vor einem Jahr konnten die männlichen Besucher Mahlzeiten und Gebete mit den Mönchen teilen. Neuerdings ist der Klosteranlage ein Gasthaus angegliedert, das wie ein normales Hotel funktioniert. Und wo selbstverständlich auch Frauen Einlass finden.
Vogelgezwitscher, sanftes Stöhnen, leise sakrale Musik aus dem Ghettoblaster. Zu den Anweisungen der jungen Yogalehrerin Marta exerzieren 15 Kursteilnehmer Figuren wie Waage, Pflug und Frosch. Schauplatz ist das noch taubedeckte Rasenstück im Kreuzgang des Klosters les Avellanes, 40 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Lleída. Ein trutziges, festungsähnliches Bauwerk aus dem 12. Jahrhundert. Ende des Jahrtausends drohte mangels Nachwuchs und Überalterung der Mönche das Ende. Deshalb wurde aus dem einstigen Priesterseminar ein modernes Hotel mit 37 Doppelzimmern und Tagungsbetrieb. Zugleich dient der Komplex als Ruhesitz für die 17 verbliebenen betagten Ordensbrüder. Eine Melange aus Weltlichem und Spirituellem. Unternehmen halten Vorstandssitzungen ab. „In der Bibliothek treffen sich gelegentlich die Regierungschefs von Katalonien und dem benachbarten Aragón“, sagt Geschäftsführer Jaume Léon. Und Menschen, die abgeschieden von der Welt Selbstfindung und Selbsterfahrung betreiben.
In diesem Jahr kamen bereits Reisende aus Australien, Frankreich, Portugal, auch aus Deutschland. Gelegentlich schließen sich Studenten und Schriftsteller in Avellanes ein, um für das Examen zu pauken oder Inspiration zu finden. „In unserem spirituellen Zentrum kann man meditieren, nachdenken oder einfach entspannen, ohne auf die Annehmlichkeiten eines bequemen Zimmers mit Bad und Zentralheizung zu verzichten“, sagt Jaume. Sogar WLAN sei verfügbar.
Rund 200 Klöster in ganz Spanien verfügten über einen Beherbergungsbetrieb, die Vermarktung laufe wenig professionell, weiß Jaume. Die zu diesem Zweck von ihm mitbegründete Asociación de Hospederías Monásticas entwickle sich schleppend. Auf dem Internetportal dieser „Vereinigung klösterlicher Gasthäuser“ lässt sich nur eine begrenzte Zahl von Häusern anklicken, vorwiegend aus den nördlichen Regionen Spaniens. „Es gibt viele Widerstände in den religiösen Organisationen gegen allzu viel ,progresismo‘“, klagt Jaume. Den Hierarchen des erzkatholischen Klerus im Süden Spaniens ist diese forcierte Säkularisierung nicht geheuer.