piwik no script img

SachbuchEkel Alfreds Super Nanny

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Trümmerfrauen und Fernsehmütter: Klaudia Wick zeigt, warum Familienserien ein Zerrspiegel der Gesellschaft sind.

Eine schrecklich nette Serienfamilie! Bild: Promo

T apfer, vorwurfsvoll, oft beleidigt, immer zupackend: Käthe Scholz, gespielt von Inge Meysel, konnte einem als Mutter der "Unverbesserlichen" ganz furchtbar auf die Nerven gehen. Sie löste Aggressionen aus - intensivere Gefühle also, als eine Familienserie im Fernsehen eigentlich auslösen sollte. Erstaunlich war das nicht. Die unverbesserliche Mutter war eine Frau, die fast alle Zuschauer aus der eigenen Familie kannten. Wen hätte Käthe Scholz nicht an die Tante, die Cousine, die eigene Mutter oder die eigene Großmutter erinnert? Deshalb löste sie ja auch nicht nur Aggressionen aus. Sondern wurde eben auch geliebt.

"Meysels Frauenfiguren haben eine spezifische Qualität, die sie von späteren Fernsehmüttern grundlegend unterscheidet: Sie beschreiben noch eine kollektive Erfahrung," schreibt Klaudia Wick. Die einstigen "Trümmerfrauen", die nach dem Krieg das Überleben ihrer Familie allein organisieren mussten, konnten "zwischen Vierflammenherd und Thermoskanne kein angemessenes Betätigungsfeld mehr für ihre Willensstärke finden. Ihre übergroße Aufopferung und Fürsorglichkeit ist in Wahrheit der vergebliche Versuch, den alten Machtanspruch zurückzugewinnen. Das ist die Tragik ihres Lebens: Die Mutterrolle ist ihnen zugewiesen worden wie eine Notunterkunft."

Dass Familienserien im Fernsehen die Gesellschaft und die Zeit spiegeln, in der sie entstehen, ist keine neue Behauptung. Dennoch ist sie falsch. Es handelt sich nämlich niemals einfach nur um Spiegel, sondern fast immer um Zerrspiegel. In seltenen, geglückten Produktionen kann es auch mal ein Brennglas sein. Klaudia Wick kommt das Verdienst zu, das Klischee durch eine differenziertere Analyse zu ersetzen. Die sehr viel spannender ist - auch in politischer Hinsicht - als das herablassende Achselzucken, das viele Intellektuelle für eine hinreichende Reaktion auf Fernsehserien halten.

Deren oberflächliche Sicht lässt sich nur rechtfertigen, weil der Begriff "Familienserie" meist sehr eng, allzu eng verstanden wird. Sie werden als sentimentale, verkitschte Produktionen definiert, die sich ausschließlich am Mehrheitsgeschmack orientieren. Klaudia Wick genügt das nicht, und sie drückt das bereits mit dem von ihr gewählten Buchtitel aus: "Ein Herz und eine Seele" war der Titel einer Serie des bedeutenden Regisseurs und Autors Wolfgang Menge, der in den 70er-Jahren mit dem "Ekel Alfred" - der Inkarnation des reaktionären Spießers - und dessen Familie es gewagt hatte, die Tagespolitik zum Gegenstand einer Familienserie völlig neuen Typs zu machen.

Ein Jahr zuvor hatte Rainer Werner Fassbinder in der Arbeiterserie "Acht Stunden sind kein Tag" das Genre bereits für die Verbreitung sozialkritischer Inhalte genutzt. Ein linkes Anliegen, das jedoch auch innerhalb der Linken nicht unumstritten war: "Verniedlichung der realen Machtverhältnisse im Betrieb", warf der prominente Journalist Günter Wallraff dem Regisseur damals vor.

Das Konzept der politischen Familienserien wurde in den ARD-Formaten "Heimat" und "Lindenstraße" weiter verfolgt. Das ZDF steuerte gegen: mit der "Schwarzwaldklinik" und "Ich heirate eine Familie". Wie viele schon allein technische Schwierigkeiten dem Versuch entgegenstanden, eine heile Welt zu schaffen, schildert Klaudia Wick an einem eindrucksvollen Beispiel: Die Außenaufnahmen für die "Schwarzwaldklinik" fanden an 32 verschiedenen Orten statt. "Im Jahrzehnt des Waldsterbens ist auch im Schwarzwald die Heimatidylle nicht mehr zusammenhängend zu haben." Das ist eine lakonische politische Analyse und vergnüglich zugleich.

Die Beschäftigung mit deutschen Familienserien bis zum Gegenwartsformat der "Super Nanny" ist stets auch eine sentimentale Begegnung mit der eigenen Biografie. Die sich ja auch nicht losgelöst von den politischen Rahmenbedingungen betrachten lässt. Wünschenswert wäre gewesen, dass die Autorin ihren scharfen Blick noch häufiger vom Bildschirm weg und hinter die Kulissen gerichtet hätte: auf die Entwicklung in den verschiedenen Sendern, die bestimmte Sendungen befördert oder verhindert haben. Also auf Medienpolitik. Aber vielleicht könnte dies ja das Thema eines weiteren Buches von Klaudia Wick sein.

Klaudia Wick: "Ein Herz und eine Seele. Wie das Fernsehen Familie spielt". Herder, Freiburg i. Br. 2007, 189 Seiten, 11,90 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!