SWISS-VERKAUF OHNE PATRIOTISCHE WALLUNGEN : Adieu, fliegende Nationalhymne
Lufthansa übernimmt Swiss, und in der Schweiz protestiert fast niemand. Regierung, Großunternehmen, Zeitungen, Bevölkerung – alle stimmen zu. Und das, obwohl Staat und Wirtschaft gemeinsam vor vier Jahren vier Milliarden Franken in die Fluglinie investiert haben.
Dieses Schweigen ist umso erstaunlicher, als die Schweizer Öffentlichkeit im Herbst 2001 noch hysterisch auf den Bankrott der Swissair reagiert hatte. Damals protestierten tausende, Banker wurden Banditen genannt, Aufsichtsräte erhielten Morddrohungen. Deswegen stampften Regierung, Banken und Großfirmen in vier verrückten Wochen ein neues Weltunternehmen aus dem Boden: die Swiss. Und die ganze Bevölkerung diskutierte mit, über Namen, Logo, Weinkarte, über alles. Doch die Schweiz ist viel zu klein für eine rentable, weltweite Fluglinie. Außerdem haben die Aktionäre Angst. Lieber verkaufen sie jetzt, als noch einmal nach einem Bankrott eine Ächtung zu erleben wie 2001.
Damals war Swissair weit mehr als der Konkurs einer Firma: Es war der Grabstein für die militärisch-wirtschaftliche Elite, die fast ein Jahrhundert lang die Schweiz regierte. Die große Karriere fand in der Schweiz traditionell an drei Orten gleichzeitig statt: in Militär, Finanzinstitut und Politik. Der Filz zwischen ihnen garantierte Stabilität, Patriotismus und Konformität des Schweizer Machtkartells. Es führte auch die Swissair – und beide scheiterten am Alleingang in Europa und an der eigenen blinden Erfolgsgewissheit.
Dass das Kartell noch einmal vier Milliarden Franken für die Swiss mobilisieren konnte, war seine letzte Machtdemonstration. Dass sich heute niemand mehr für die Swiss interessiert, zeigt, dass die Identifikation mit der alten Elite gebrochen ist. Patriotismus drückt sich in der Schweiz heute nicht mehr durch Identifikation mit Projekten wie der Swissair aus, sondern durch Gegnerschaft gegen außen. Deswegen werden Asylrecht und Einbürgerungspraxis verschärft. Und der Sparzwang herrscht. Auf potente Strippenzieher folgen gesichtslose Manager. Kein Wunder, dass das einstige Nationalsymbol nun von nüchternen Deutschen abgewickelt wird. CONSTANTIN SEIBT
Der Autor ist Redakteur der Wochenzeitung (Woz), Zürich.