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Archiv-Artikel

SUSI KENTIKIAN, KILLERQUEEN Gesicht der Milchschnitte

Susi Kentikian, 22

■ kam als Flüchtlingskind aus Armenien und ernährt heute ihre ganze Familie.Foto: dpa

Am Boxring treffen sich für gewöhnlich jede Menge alte Bekannte. Am Samstagabend in der Hamburger Sporthalle sieht sich ein vornehmer älterer Herr in der ersten Reihe scheu in einer für ihn fremden Welt um. Hayk Charliyan hatte Ring-Premiere. „Susi hatte eine schwere Zeit, aber ich bin stolz, was aus ihr geworden ist“, erzählt der 76-jährige Großvater von Susi Kentikian. Er ist aus Los Angeles angereist, wohin er vor über 20 Jahren aus Armenien auswanderte.

Seine Enkelin war ein paar Jahre später als Neunjährige mit ihrer vierköpfigen Familie als Asylsuchende auf dem Flüchtlingsschiff „Bibi Altona“ in Hamburg gelandet. Ohne ihren Jugendtrainer, der eine Bürgerinitiative für sie organisierte, wäre sie als 14-Jährige abgeschoben worden. Damals war ihr Talent in der Boxszene schon überregional bekannt. Früh erwarb sie sich aufgrund ihres unbändigen Vorwärtsdrangs den boxerischen Ehrentitel „Killerqueen“.

Inzwischen besitzt die 1,55 kleine,zierliche Fliegengewichtlerin einen deutschen Pass, drei Weltmeister-Gürtel und einen hoch dotierten Werbevertrag für die „Milchschnitte“. Weil der Sender den zu einer Haftstrafe verurteilen Halbschwergewichts-Weltmeister Jürgen Brähmer lieber im Rahmenprogramm versteckte, präsentierte das ZDF Kentikian gestern das erste Mal als Hauptkämpferin.

Dass die 22-jährige Hamburgerin und ihre ein Jahr ältere Herausforderin Nadia Raoui aufeinander losgehen würden wie zwei „Batterie-Hasen“, war im Vorfeld oft genug prophezeit worden. Eine Überraschung war allerdings die Anzahl der klaren Treffer, die die Herausforderin aus Herne setzen konnte. Vergeblich. „Ich wusste, ich muss doppelt gewinnen, um eine Chance zu haben“, sagte die weinende Raoui nach dem Kampf.

„Nadias Fans haben gebuht, meine gejubelt“, interpretierte Susi Kentikian in einem Anflug selektiver Wahrnehmung die Reaktionen des Publikums auf das knappe 2:1 Urteil für sie. Denn in das Pfeifkonzert mischten sich auch etliche, die vorher noch Kentikian angefeuert hatten. „Ein Unentschieden wäre gerechter gewesen“, befand selbst Stall-Kollegin Ina Menzer.

Dem sitmmte auch Kentikian-Fan Fatih Akin zu, der gerade an einem Drehbuch über das Leben des Hamburger Promoters Ahmet Öner arbeitet. Klar, dass Großvater Hayk, der nach dem Kampf in den Ring gestürmt war, das anders sah: „Ein großer Kampf, Susi hat verdient gewonnen.“

Das erste Pfeifkonzert ihrer Karriere wird die Boxerin des Jahres wohl besser verkraften, als die unsichere Zukunft: Das ZDF steigt nach dem 31. Juli aus dem Boxgeschäft aus. Universum-Chef Klaus-Peter Kohl verbreitet zwar eine optimistische Stimmung, konnte aber noch nicht sagen, wie er Europas größten Boxstall künftig finanzieren will. RALF LORENZEN