SUSANNE LANG über DIE ANDEREN : Trash-Republik, wir kommen!
Berlin bleibt ein einarmiger Bandit, selbst wenn es sich selbst und den Aufschwung feiert
Die Hauptstadt hat einen neuen Club. Das kommt nun nicht so oft vor. Die bundesweite Aufregung um das „Goya“ ist daher bitte: zu verstehen. Es ist ein Zeichen!
Wie man so hört, läuft auch alles so weit großartig. Letzte Woche war das ZDF zu Gast. Und kein Geringerer als Glamour-Star Volker Panzer war es, der dort sein „Nachtstudio“ mit Kunstkamin abhielt. Na bitte. Das „Goya“ steht eben für den Neuanfang. Jugendstil-Optik. Aktionärspublikum. Energiegeladen. Hierher verirren sich weder Pop- noch Sonstwie-Linke. Langsam also, merkte ich, formt sich die Hauptstadt jenes Gesicht für den Aufschwung.
Ich dagegen hatte wirklich alles versucht. Eine Lichterkette (Herzen, Samtbezug, anregendes Rot) in mein Fenster gehängt. Eine zweite in mein zweites Fenster. Es half nichts. Sie implodierten beide. Keine Spur von Aufhellung. Bis zu diesem Herbst hatte jeder in Deutschland ein Grundrecht auf Depression. Genau das wird jetzt anders. Darauf hat uns die Bundeskanzlerin schließlich ihr Wort des Jahres gegeben. (Wo steckt eigentlich Peter Hahne?!)
In einem Anflug von Verzweiflung entschied ich mich für die harte Alternative zum Neuberliner Glück: das Spielcasino am Potsdamer Platz. Die letzte Chance für die anderen, all jene, die sich von der Aufschwungsstimmung ausgeschlossen fühlen.
Kaum hatte mich die U-Bahn dort ausgespuckt, blickte mir die große Zuversicht ins Gesicht: sechs rote Ziffern, der Kontostand der Spielbank. Eine gute halbe Million Euro. Na bitte.
Der Wintersturm heulte. Über den Bäumen zwischen den Weihnachtsmarktbuden kreisten schwarze Vögel. Kreischten und flatterten und setzten sich ab und an auf die Baumwipfel. Die Vögel über Berlin. Na bitte.
Bestimmt auch das ein gutes Zeichen. In einem Zelt neben dem Casino almrauschte es dementsprechend. Aniiita, Fiesta Mexikanaaa, große Titten lalala. Das Potpourri zum Aufschwung. Verkäuferinnen in Ekstase. Touristen im Elchmützen-Rausch. Diese „Winterwelt“ am Potsdamer Platz – so stellte ich mir das neue Deutschland vor, keine künstliche, nein: eine optimistische Verheißung. Ich betrat die klimatisierte Halle des Casinos.
Innen empfing mich Stille. Hier ist das Glück ein sauberes Geschäft. Oben spielten die VIPs Roulette. Im Untergeschoss blinkten tausende von grellen Neonanzeigen. In allen Farben. Vor den Automaten saßen müde Gesichter, starrten auf die Anzeige. Casino Leger. Ich entschied mich für das Modell „Monster“. Neben mir kauerte eine vollschlanke Vietnamesin auf ihrem Hocker. Regungslos, nur ihr Finger drückte automatisiert einen Knopf. Es gab viele Frauen und Vietnamesen in diesem Casino.
Ich warf eine Münze durch den Schlitz. Nichts passierte. Ein zweite. Nichts. Eine dritte – Wahnsinn! In einem Anflug von Panik – der Automat würde es sich doch nicht anders überlegen! – drückte ich auf „auszahlen“. Tacktacktack – ich musste lachen. Tacktacktack. Sehr hysterisch lachen.
Irgendwann stoppte der Sterntalerregen. Ich schaufelte die Münzen in meinen Geldbecher und beschloss, mich über das Begrüßungsgeld von 50 Euro zu freuen. Meine Ankunft in der neuen Republik war somit besiegelt, in jener Trash-Republik, zu der wir gerade werden, nicht nur white, in allen Farben. Ich holte meinen Mantel von der Garderobe, der neben einer prall gefüllten Lidl-Plastiktüte Platz gefunden hatte, und fasste ausnahmsweise einen guten Vorsatz für 2006: Herr Hahne, wir werden reden müssen.
Dringend.
Fotohinweis: SUSANNE LANG DIE ANDEREN Fragen an die anderen? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE