SUSANNE LANG über DIE ANDEREN : Herr K., wollten wir reden?
Wie schreibt man einen Bestseller? Ganz einfach: Die Leute müssen darüber reden müssen
Eines Tages stand er vor mir, in beigem Trenchcoat, das blonde Haar akkurat gescheitelt, die dunkelbraune Kastenbrille griffbereit und sagte „Hallo“. „Bist du die Chefredakteurin? Ich möchte euch 400.000 Euro schenken.“
Schon irgendwie echt wow abgefahren, dachte ich. Na ja, sogar schon irgendwie echt cool so – heyheyhey – leider verstehe ich nicht das Geringste von Schenkungen aller Art. Nur so viel: die meisten haben ein unerwünschtes Gimmick. In diesem Falle, beim Angebot des Jung-Royal-Nonkonformisten und jetzt auch totalitärpolitisch kundigen Schriftstellers in seinem Trenchcoat, war es relativ naheliegend: „Kann ich dann Einfluss auf die Inhalte nehmen?“, fragte Herr K.
400.000 Euro. Mal eben abzugreifen zwischen zwei Prosecco zwischen Bertelsmann- und FAZ-Stand. Frankfurter Buchmessenzeit, da geht immer was. Und sei es ein moralisch komplexes Angebot auf Kosten der Meinungs- und Pressefreiheit. Ich könnte mich nun beleidigt fühlen, in meiner Ehre als unabhängig eingekaufte Kreativarbeitnehmerin verletzt.
Andererseits, vielleicht ließe sich mit 400.000 Euro endlich die ungeschriebene Bestseller-Gesetzmäßigkeit durchbrechen, die besagt, dass Bestseller a) immer gemacht, also geplant, lanciert und gesteuert den Markt erobern; dass Bestseller b) immer von den anderen gemacht werden, also den ideenarmen, warenfixierten Schmalspurintellektuellen; dass Bestseller sich c) nicht anhand ihrer verkauften Exemplare Bedeutung erarbeiten, sondern unter Beweisstellung ihrer Anschlussfähigkeit, die in der Diskussion ihres vermeintlich provozierten Werte-Tabubruchs in allen anderen un- und beteiligten (Medien-)Institutionen kenntlich wird. Die Leute müssen darüber reden müssen.
Frau N. zum Beispiel, die als ehemalige Moderatorin des engagierten ZDF-Frauenmagazins „Mona Lisa“ ihren weiblichen Rachefeldzug gegen ihren Exmann detailliert bis in die Unterhose debattiert. Oder Frau K., die über die prekäre zwischentierische Beziehung von Hund und Ehepaar mit folgender Liebestötung philosophiert.
Oder Frau H., deren Bestseller wie alle anderen auch auf der Frankfurter Messe im Regal zu bestaunen lag. Frau H., so geht die Kolportage, habe am wenigsten Anteil an dem bombastischen Debattenerfolg des Werkes „Das Eva Prinzip“. Frau H., so sagen selbst ihr Wohlgesonnene aus ihrem Verlagsumfeld, habe sich vielmehr überrollen lassen von ihrer eigenen Anschlussfähigkeit.
Frau H., so sagt sie selbst, sei erschüttert bis tief verletzt und doch auch wieder höchst erfreut über die heftigen, emotionalen Reaktionen auf ihre Thesen zur neuen Weiblichkeit, die tatsächlich anschlussfähig sind, weil a) der kleine Sechs-Mitarbeiter-Verlag Pendo mit der blonden, in jedem Wohnzimmer bekannten Gesicht der Frau H. eine höchst kredible Verkaufs- und Projektionsfrau engagiert hat, die b) mit einem vermeintlichen gering komplexen Tabubruch (Frauen zurück an den Herd) bei der feministisch-intellektuell geprägten Gegenseite nicht überhört werden darf und c) Frau H. ein sofortiges Follow-up des ersten Bestsellers in Form von abgedruckten LeserInnenreaktionen gewährleistet.
Ein echter Coup für den kleinen, feinen Pendo-Verlag, der mit nur zwei Telefonanschlüssen, so der Verlagschef während der Buchpräsentation Anfang September, ja so überhaupt gar nicht mit dem Erfolg gerechnet habe, er vielmehr den Bestsellererfolgen der Herren Di F. und S. zu verdanken sei, die doch den geistigen Nährboden für eine solche Erlösungswertedebatte bereitet hätten.
Ein Bestseller ist ein hochkomplexe Angelegenheit.
Eigentlich, so dachte ich, und das wäre doch einmal eine Idee, könne Herr K. nach seiner jüngsten Erfahrung mit dem nordkoreanischen Disziplinierungssystem, mit seiner eigenen Lehrzeit in der Eliteschulanstalt Salem am Bodensee, als prominenter Schüler von Wertebestsellerautor Herrn Bernhard B. über Disziplin reden. Aber da war Herr K. in seinem wehendem Trenchcoat schon wieder weg. Mit seinen 400.000 Euro.
Komplexe Angebote? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS