■ SURFBRETT: Virtueller Bebraismus
Bei den grellbunten Internet-Attrappen („looks like the real thing“), die uns auf Funkausstellungen und den Websites maroder Unterhaltungskonzerne entgegenblinken, fallen die kleinen und eher gemütlichen Homepages ganz sicher unter den Tisch. Dabei sind es gerade die vielen privaten und unspektakulären Seiten, die das Internet so unverwechselbar echt machen. Wie zum Beispiel Bebra. „Ich habe ein Wildschweinfell am Kamin angedübelt“, schreibt Frau Q. auf der Diskussionsseite, „es paßt gut dorthin, der ganze Wohnraum wirkt jetzt wärmer.“ Bald wird es wieder Winter in Hessisch-Sibirien, und dann ist das typisch bebraistische Haus nur noch an den chronisch heruntergelassenen Rolläden zu erkennen.
Und was machen die Bebrer? Sie basteln an der Homepage, würdigen den berühmten Sohn der Stadt, den Barbier, dessen Leben und Wirken so trefflich von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel beschrieben wurde. Leser dieser Zeitung konnten das Werk früher würdigen als andere. Und natürlich ist es kein Zufall, daß der Theaterautor Klaus Pohl sein Stück „Die schöne Fremde“ hier spielen läßt – aufgeführt wird es zur Zeit freilich nur am Stadttheater Koblenz.
„Bebra ist schließlich bekannt für seinen tiefen kulturellen Hintergrund, als Bebraismus weltberühmt, und liegt in der Nähe von Hersfeld. Also ein guter Grund, ins Netz integriert zu werden“, meinen die Homepage-Macher und sorgen dafür, daß man den Schachverein anklicken kann, den Heimatdichter Droste, die Tanzschule, die Volksbank – und das Eisenbahnmuseum mit dem berühmten Wasserturm.
Kein Frame irritiert das Auge des Betrachters, alles scheint aus echt bebraistischem dc-fix zu bestehen. Ein paar Klicks weiter erscheint ein Foto von DJ Rainer von der örtlichen Disco („Schau mir in die Augen, Bebra!“). Und weil das Blow Up der kulturelle Mittelpunkt ist, gibt's dazu eine extra bunte Website mit der aktuellen Hitparade, den Mister- und Mißwahlen und einem Erlebnisbericht, der klarmacht, warum es so wichtig ist, Türsteher zu haben.
Den Blick auf den Standort und das „Real Bebra“ hat die Elektrotechnik- Firma Willich gestaltet. Realer wird es dadurch nicht. Aber auch nicht virtueller, und wer annimmt, daß das außerhalb des Landkreises niemand interessiert, irrt. Zuschriften aus aller Welt beweisen das. Bebra, eine der ältesten Siedlungen in der Landschaft am Fuldaknie, ist nun auch im Internet: http://members.aol.com/bebraismus Dieter Grönling (dieter@taz.de)
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