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■ STREIKLICHTERVETERANEN – EINDRÜCKE

Es ist zwei Uhr vormittags, ich gehe wie fast jeden Tag um diese Zeit in die Mensa, um meinen Magen mit etwas Warmem zu füllen und eine Pause vom Schreibtisch und der Magisterarbeit zu machen. Die Wände der Rostlaube sind vollgeschrieben: Streik. Eigentlich müßte man ja auch was tun, denke ich schon seit Tagen vor mich hin. Zaghafte Versuche in dieser Richtung scheitern an der eigenen Unentschlossenheit, und schließlich kenne ich „die“ nicht, die in den besetzten Hörsälen und Seminar-Räumen ausharren. Es sind alles wesentlich jüngere Semester, kenne kein einziges Gesicht. Außerdem: welchem meiner drei Fächer soll ich mich anschließen?

Immerhin verfolge ich den Streik interessiert aus der Ferne in Zeitungen und Besetzerblättern, lasse mir jedes Flugblatt ohne Widerstand in die Hand drücken. Meine Solidarität gilt allen, egal ob FU, TU oder HdK, wenn auch nur im Stillen. Mit den Palästinenern allerdings, die vor der Mensa um meine Unterstützung für ihren Streik bitten, tue ich mich schon nicht mehr so leicht. Ich frage mich, warum bei solchen Anlässen meine Solidarität immer gleich en gros gefordert wird und halte Ausschau nach Nicaragua-, Südafrika-, Armenier-, Kurdengruppen...

Ich gehe also in die Mensa und treffe Wolfgang, einen alten Studi-Kollegen. Wolfgang und ich beschließen nach dem Essen, unserem Hauptfach Publizistik und dem neugegründeten Exil –Institut in der Rostlaube (L 31 19) einen Besuch abzustatten. Lauschig ist es da, an den Wänden kesse Sprüche, Schlafsäcke, Saft- und Kaffeetheke, Schreibmaschinengeklapper, Radiogeplärre und Gruppen diskutierender Studenten. Und siehe da, es gibt noch andere Veteranen, die den Weg hierher gefunden haben. Fernseher werden aufgebaut und ich schaue mir eine Video-Wander –Zeitung an, die die Ereignisse der letzten Tage zeigt und von einem Fachbereich zum nächsten weitergereicht wird. Schließlich kann ich das Rufen meines Schreibtisches nicht mehr überhören und reiße mich los. Ich gehe langsam zum Ausgang, vorbei an den besetzten Räumen, in denen lebhafte Versammlungen stattfinden. In den Gängen immer wieder kleinere Grüppchen diskutierender Studenten und Dozenten. Ein junger Vater läuft mit der Tochter auf dem Arm und einer Rassel in der Hand im Zick-Zack-Kurs um die vielen Stellwände herum. Ich fühle mich wohl. Es liegt Aufbruch, aber keine Aggressivität in der Luft. Das Wir-sind-alle-eine –große-Familie-Gefühl fällt mich an. Sind wir das wirklich? Ich verlasse die Uni und bin draußen. Morgen gehe ich wieder in die Mensa und danach auf einen Kaffee ins „Freie Institut“.

Britta Grashorn

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