■ STANDBILD: Willy, der Mythos
(Willy Brandt – ein deutsches Leben, 18.12., 22 Uhr 35, ARD) Ein Politiker wird 75. Was tut man, man stellt ihn zur Rede. Das Interview ist da das probate publizistische Mittel, einen Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen. Immerhin ist derjenige, um den es geht, nicht irgendjemand, sondern er heißt Willy Brandt. Ein Zeitzeuge sozusagen, der Zeugnis ablegt über ein halbes Jahrhundert Geschichte. Worüber aber, so muß man fragen, soll er denn Zeugnis ablegen? Nun vielleicht darüber, wie das damals wirklich war, als er 1974 wegen Guillaume zurücktrat, oder darüber, wie das damals zwischen ihm, dem SPD Parteivorsitzenden, und seinem Kanzlernachfolger Helmut Schmidt wirklich zuging? Das mag die Erwartungshaltung des Zuschauers gewesen sein, als er den Fernsehapparat einschaltete, jedenfalls war es meine. Nun sie wurde, das sei vorweg gesagt, enttäuscht.
Sind wir ehrlich, es war auch gar nicht anders zu erwarten. Wenn einer, über dessen mediale Päsenz nie Zweifel bestand, über seine 75 Jahre Rede und Antwort stehen soll, da kann doch nur eine Würdigung herauskommen. Denn natürlich kennt Willy, der Medienprofi, schon alle Fragen, alle Zitate, die man ihm vorhält, er kennt alle Passagen, in denen andere Zeitzeugen Zeugnis über ihn abgelegt haben, und er kennt natürlich alle seine eigenen Bücher, Teilbiographien oder was auch immer. Und so fand hier eine Begegnung dieser seltsamen dritten Art statt, die wir so gerne im Fernsehen sehen, daß nämlich gefragt wird nach etwas, was wir alle schon wissen und kennen.
So fragt ihn Hansjürgen Rosenbauer nach der Macht, und ob er gerne ein mächtiger Mann war. Da antwortet er, in seiner ihm eigenen Art, beim Sprechen denkend, ganz Pose alter Statesman: Ja wissen Sie, was heißt hier Macht usw., usw. Noch jedes Wort, jede Formulierung, jeden Halbsatz genau bedenkend, als könne sie ihm bei der nächsten Perteivorstandsitzung oder auf dem nächsten Unterparteitag von Frankfurt falsch ausgelegt zugeschrieben werden. D.h. hier wurde Wissen abgerufen, abgefragt, das medial bereits abgebucht ist. Daß das Interview als Instrument des Journalismus versagte, lag also weniger an Hansjürgen Rosenbauer, der, liebenswürdig wie er nun einmal ist, sogar nachfragte, sondern daran, daß hier einer befragt wurde, dessen Vita bereits zu Lebzeiten zum medialen Abziehbild geworden ist. In Hunderten von Interviews, Berichten, Artikeln und Filmen ist sein Leben bereits aus- und durchleuchtet, medial vermarktet worden.
Der Mensch selbst, Willy, hat sich diesem Bildnis angenähert, das die Zeitungen, Funk und Fernshen von ihm geschaffen haben. Da hat er doch recht, oder? Oder hätte man ihn womöglich nach seiner Trennung von Ruth fragen sollen, damals? Hätte Rosenbauer ja ruhig machen können, nur, die Destruktion eines lebenden Mythos ist ein hartes Geschäft.
k.s.
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