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Archiv-Artikel

STADTGESPRÄCH AUS KIEW Von Lenin zu Mao

EIN NEUES GESETZ IN DER UKRAINE VERBIETET KOMMUNISTISCHE UND FASCHISTISCHE SYMBOLIK

Es ist eines der größten Einkaufszentren Kiews, der „Bolschewist“. Wenn die Besitzer des Konsumtempels den Namen nicht drei Monate nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zum Verbot von kommunistischer und nationalsozialistischer Symbolik umbenannt haben, bekommen sie ein Problem. Mit bis zu fünf Jahren Haft kann bestraft werden, wer gegen die Regelung verstößt.

Gleichzeitig werden durch das Gesetz die Nationalisten der „Ukrainischen Aufständischen Armee“ (UPA), die im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion gekämpft hatten, den Kriegsveteranen gleichgestellt. Strafrechtlich verfolgt werden kann nun, wer das Recht auf den Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine in der UdSSR und die Verdienste der Unabhängigkeitskämpfer anzweifelt.

Vielerorts will man nicht mehr auf die Unterzeichnung des Gesetzes durch den Präsidenten warten. In der Kiewer Innenstadt wurden an städtischen Gebäuden in der Innenstadt in den vergangenen Tagen Hammer und Sichel entfernt. Am Wochenende rissen vermummte Aktivisten in der ostukrainischen Metropole Charkiw drei Denkmäler der kommunistischen Vergangenheit nieder. Dass ausgerechnet ein Denkmal von Ordschonikidse, der die Stalinschen Säuberungen zu dessen Lebzeiten kritisiert hatte, niedergerissen wurde, sei ein Schlag für alle Arbeiter der Traktorenfabrik, kritisierte die Firmenleitung der Charkiwer Ordschonikidse-Traktorenwerkes.

Die Bevölkerung ist in der Frage des radikalen Bruchs mit der sowjetischen Vergangenheit tief gespalten. „Ich denke, dieses Gesetz kommt eher zu spät“, sagt Wladimir Wjatrowitsch, Direktor des Instituts für nationale Erinnerung. „Hätten wir diesen Schritt vollzogen, als dies auch andere postkommunistische Staaten Osteuropa getan haben, wären wir der totalitären Vergangenheit eher entronnen.“ Der Journalist Andrej pflichtet ihm bei. „Wir wollen nach Europa. Und wir kommen Europa nur näher, wenn wir uns von unserer sowjetischen Vergangenheit trennen.“ Einige Kritiker fürchten unnötige Kosten. 2.000 Euro müssten Besitzer von Restaurants, die mit sowjetischer Nostalgie werben, für ein neues Design bezahlen, berichtet Olga Nasonowa vom Verband der Restauratoren. Mancherorts seien Inhaber von Cafés mit Sowjetnostalgie erfinderisch. So habe in einem Nostalgiecafé ein Bildhauer eine Lenin-Statue zur Mao-Tsetung-Büste umgemeißelt.

Der Politologe Wadim Karasajew fürchtet eine weitere Spaltung der Gesellschaft. „Die Position der Regierungspartei im Süden und Osten dürfte weiter geschwächt werden.“ Der Stimmenverlust dort könnte jedoch durch Stimmengewinne in der Westukraine wettgemacht werden, zitiert die Tageszeitung Vesti einen Abgeordneten einer Regierungspartei.

In Kiew häufen sich Gerüchte, dass Radikale für den 8. oder 9. Mai das Denkmal und Grab des Generals Nikolaj Watutin im Kiewer Marinski-Park schleifen wollen. Watutin, der 1943 die Rückeroberung Kiews kommandiert hatte, war 1944 nach einem Überfall ukrainischer Nationalisten seinen Verletzungen erlegen. Seine Tochter, Elena Watutina, bemüht sich derzeit um eine Verlegung der sterblichen Überreste ihres Vaters nach Moskau.

BERNHARD CLASEN

AUS KIEW