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Archiv-Artikel

STAATSDEFIZIT: DIE POLITIK MACHT ABSURDE VORSCHLÄGE – WIE TRÖSTLICH Irrtümer gibt‘s nicht

Die Finanzlage Deutschlands ist dramatisch, aber es geht immer noch dramatischer: Gestern meldete die Bundesbank, dass sie die Steuerschätzung für korrekturbedürftig hält. Die ist übrigens erst eine Woche alt und ging von 8,7 Milliarden Euro aus, die Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Jahr fehlen. Jetzt soll das Minus noch größer sein.

Nahe liegend wäre es nun, die Steuerreform 2004 und 2005, die insgesamt etwa 25 Milliarden Euro jährlich kosten würde, zu streichen. Doch davon ist nie die Rede. Erstaunlich. Fragt man nun die rot-grünen Koalitionäre, warum sie die Steuerreform nicht zumindest verschieben, dann fallen zwei Argumente. Beide sind jedoch nicht politisch, sondern technokratisch.

Argument eins: Politik müsse „verlässlich“ sein. Das klingt gut, bedeutet aber nur, dass sich Rot-Grün weigert, zu lernen. Nach dieser Logik gibt es keine Irrtümer, sondern nur Beschlüsse. Argument zwei: Die Steuerreform stehe ja schon im Gesetzesblatt, es sei also die Unionsmehrheit im Bundesrat nötig, um die Reform aufzuheben oder zu verschieben. Stimmt. Aber wenn Rot-Grün sich von den Machtverhältnissen in der Länderkammer dermaßen verschrecken lässt, dann macht sich die Regierung schlicht überflüssig.

Doch dieser Diskussionsstand erreicht noch nicht das Maximum der Erstaunlichkeiten. Noch bizarrer wird es, wenn zum Beispiel die CDU-Mittelstandsvereinigung auftritt. Dort hatte man gestern die Idee, trotz der Defizite die Steuerreform vorzuziehen. Immerhin war man so freundlich, eine Gegenfinanzierung vorzuschlagen. So möchte man die Subventionen pauschal um zehn Prozent kürzen. Kein Programm könnte bei den Wählern populärer sein, nur fällt es schwer, zu glauben. Schließlich fließen drei Viertel aller Subventionen an die Sektoren Landwirtschaft, Bergbau, Verkehr und Wohnungsvermietung – es sind also Unternehmen, die profitieren, auch viele Mittelständler. Aber vielleicht ist das ein Trost: Deutschlands Finanzlage kann gar nicht so dramatisch sein, wenn wir uns diese unernsten Diskussionen noch leisten können. ULRIKE HERRMANN