SPLITTERGRUPPE ABIFAHRT : Man lernt ja noch
Ein Häufchen Halbwüchsiger steht vor dem Zebrano Theater und skandiert im Chor: „Berlin, Berlin, wir sind in Berlin!“ Offensichtlich die Splittergruppe einer Abifahrtgesellschaft. Es ist mitten in einer Nacht von Dienstag auf Mittwoch, und das Barpersonal mahnt die Hauptstadtfans zur Ruhe: „Kinder, ’n bisschen leiser, wenn’s geht!“ Kurz sind die fünf Freunde bedröppelt, aber als die Tür wieder zufällt, haben sie ihren alten Mut wieder: „Leiser …“, entrüstet sich ein sehr großes, sehr angetrunkenes Mädchen, das sich auf die Schulter ihres viel kleineren Freundes stützen muss, um Haltung zu bewahren, „sei doch selber leise, du Penner!“ Ihr kleiner Freund geht bald in die Knie.
Zwei Männer laufen vorbei: gebräunt, trainiert und Hand in Hand. Fünf Münder stehen lautlos offen, zehn Augen verfolgen das Paar. Die Große fängt sich als Erste: „Ey“, brüllt sie, „seid ihr schwul, oder was?“ Es gibt Fragen, die sind so bescheuert, dass einem die Antwort nicht einfällt. Die beiden Männer bleiben stehen wie vor demselben Problem. Langsam drehen sie sich um. Erst jetzt fällt auf, wie groß die beiden sind und wie sportlich. „Wie bitte“, fragen sie, „wie war das?“ Ganz langsam sickert die Erkenntnis in das vernebelte Hirn des Mädchens, die Erkenntnis, dem falschen Hund ans Bein gepinkelt zu haben. Denn die Fußhupe mit Wolldeckchen hat sich gerade in eine Bulldogge mit Stachelhalsband verwandelt. Sie schiebt den kleinen Freund nach vorne. „War doch nur ’n Witz!“, murmelt sie aus ihrer unzureichenden Deckung heraus. Die Deckung zittert. Die beiden Männer schauen sich an. Dann geht der eine ganz dicht an sie heran. „Das ist kein Witz“, sagt er, „wir sind schwul!“ Die beiden drehen sich um und gehen ihrer Wege. Fünf Freunde stehen des Nachts vor dem Zebrano Theater in Berlin. Hoffentlich kommt sie jemand abholen, sonst bleiben sie womöglich für immer dort.
LEA STREISAND