SPIELARTEN DER KORRUPTION : Rom ganz weit vorn
AUS ITALIEN VON MICHAEL BRAUN
Kreativität und Fantasie – das sind Eigenschaften, die die ganze Welt mit Italien, mit den Italienern verbindet. Allerdings wird der viel beschworene Einfallsreichtum nicht bloß auf den Feldern Mode oder Möbeldesign ausgelebt, sondern auch in einer Weiße-Kragen-Kriminalität, die immer wieder für Überraschungen gut ist.
Vor einigen Tagen wurde in Rom Pater Renato Salvatore, der Generalobere der Kamillianer verhaftet, eines vor allem in der Krankenpflege tätigen katholischen Ordens, der in seinen Krankenhäusern Millionensummen umsetzt. Als nämlich Pater Salvatore sich vor einigen Monaten der Wiederwahl zum Chef des Ordens stellen musste, hatte er einen starken Gegenkandidaten. Doch der fromme Mann wusste sich zu helfen: Er zog mit ungewöhnlichen Methoden am entscheidenden Tag zwei Wahlmänner aus dem Verkehr. Bei den beiden tauchte eine Streife der Finanzpolizei auf, nahm sie mit zum Verhör und hielt sie stundenlang fest – bis Salvatores Wahl gelaufen war.
Dumm nur, dass kein Staatsanwalt, kein Polizeichef den Befehl zum Verhör gegeben hatte, dass die Finanzpolizisten dem Prior zuliebe offenkundig eine Posse aufgeführt hatten. Bei den Beamten, die jetzt auch wegen Freiheitsberaubung in Haft sitzen, wurden Zehntausende Euro in Cash gefunden.
Dennoch ist der Pater ein kleiner Fisch; ein viel größeres Rad wurde offenbar in Roms städtischem Verkehrsunternehmen ATAC gedreht. Mit 1,2 Milliarden Euro ist die ATAC bis über die Halskrause verschuldet, Hunderte Busse und Straßenbahnen stehen in den Depots, weil das Geld für Wartung und Ersatzteile fehlt. Kein Wunder: Über Jahre hinweg betrog die ATAC offenbar sich selbst.
Die Methode war einfach: Neben den offiziell abgesetzten Tickets kamen unter der Hand Millionen von mit den gleichen Seriennummern geklonten Fahrscheinen in Umlauf, gedruckt bei der ATAC, vertrieben über die ATAC – aber dann wurden die Erträge nicht in den Büchern abgerechnet, sondern in schwarzen Kassen gebunkert.
Auf womöglich 70 Millionen Euro jährlich kalkulieren die Fahnder den Schaden. Seit dem Jahr 2000 soll dieses System laufen. Der Verdacht der Ermittler: Nicht bloß untreue Manager, sondern auch Kommunalpolitiker von rechts und links sollen in bestem Einvernehmen an diesem System verdient haben.
Und die Verkehrsgesellschaft bilanzierte in einem internen Dokument: „Die größte Gefahr für die ATAC – ist die ATAC selbst!“