SPIEL UM PLATZ DREI NIEDERLANDE – BRASILIEN IRGENDWO IN SCHÖNEBERG : Drei fremde Schöße
VON LEA STREISAND
Das wird bestimmt das lustigste Public Viewing der ganzen WM“, sage ich zu Marieke. Samstagabend, wir sitzen in der S-Bahn nach Schöneberg. Eigentlich wird es kein Public Viewing, sondern eine Privatparty, aber „ein Fest mit Holländer und viele liebe Homosexualen, aber desto Hollandischer“, so der Wortlaut der SMS, die Marieke mir geschrieben hat. Ein Fußballfest, denke ich. „Na ja“, sagt Marieke, „ich hoffe, sie haben einen Fernseher.“ Haben sie: Die Kiste ist ungefähr so groß wie ein Schuhkarton und steht verlassen in einer Ecke des Wohnzimmers. Die Wohnung ist toll. Parkett, Flügeltüren, Dachterrasse. Kann man nicht meckern.
Der Freund des Gastgebers ist ein Riese namens Emilio, der seit zehn Monaten in Berlin lebt, vorher 20 Jahre in New York war und in Rotterdam geboren wurde. „Sie sind so ehrlich, die Berliner“, sagt er. „Haha“, sage ich. „Yes“, sagt er und sucht nach Worten, „so direkt. Das finde ich schön.“ Er sagt „chön“ und „dürräkt“. „Die Holländer sind doch auch direkt“, sage ich. „Oh ja“, sagt Marieke, „unverschämt. Sagt man das?“ – „Sagt man“, sage ich und erzähle, wie ich einmal am Schipholer Flughafen diskriminiert wurde. „Ich musste meine Schuhe ausziehen, zum Durchleuchten, und dann standen sie da und haben Witze gemacht.“ – „Über deine Schuhe?“, fragt Marieke. „Ja!“, sage ich. Emilio versteht nicht. „Ich habe einen Gehfehler“, erkläre ich. Ich zeige auf mein linkes Bein. „Ich muss besondere Schuhe tragen.“ Er guckt mich an. Marieke übersetzt. „What?!“, sagt er „Oh my god! Did you slap him in the face? You should have punched him“, sagt Emilio – und schubst mich, um auch bestimmt keinen Zweifel daran zu lassen, was ich seiner Meinung nach hätte tun sollen.
Merke: Man darf Lea nicht schubsen! Das hat schon Frau Schwittauer im Kindergarten immer gesagt: „Die fällt sofort um.“ Und das ist bis heute so geblieben. Harun, Micha und Kerstin heißen die drei fremden Schöße, auf denen ich lande. „Ich wusste gleich, dass es das lustigste Fußballgucken der ganzen WM wird“, sage ich (ja, werte LeserInnen, einen konkreten Ort mögen wir heute nicht empfehlen – aber ein Plädoyer auf Privatpartys zu Public-Viewing-Zeiten mögen wir halten. Und Sie werden doch auch einen Emilio mit Dachterrasse irgendwo in Ihrem Adressbuch haben, oder?).
Der arme Emilio klopft mir nicht vorhandenen Dreck von der Hose. „Wie spät isses denn?“, fragt Micha. „Drei Minuten nach zehn“, sagt Kerstin. „Tor!“, sagt Marieke. Sie hat den Fernseher angemacht.
Armes Brasilien! Ich weiß nicht genau, wie hoch sie gegen die Niederländer verloren haben, man konnte die Zahlen auf dem kleinen Bildschirm so schlecht erkennen. Irgendwas zwischen 2 und 5 zu 0, glaube ich. Außerdem hat Emilio irgendwann Madonna angemacht und angefangen, die Anwesenden zur Musik übers Parkett zu wirbeln. Wir hatten Besseres zu tun, als Fußball zu gucken.
Heimmannschaft: Der Freund von Emilio
Gästeblock: Freunde des Freundes von Emilio und Freunde der Freunde des Freundes …
Stadionimbiss: Rosé, Bier und Prosecco, dazu Nudelsalat mit Melone
Ersatzbank: Zu Hause
Rote Karte: Die Beamten vom Schipholer Flughafen