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taz FUTURZWEI

SPD und ihr Chef Lars Klingbeil Der Sachbearbeiter

Zu Lars Klingbeils politischem Aufstieg würde das Außenministerium passen, für die SPD wäre das ein weiterer Schritt ihres Abtritts von der historischen Bühne, meint Udo Knapp in seiner Kolumne für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Hat noch Luft nach oben: Lars Klingbeil, demnächst Außenminister? Foto: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

„Parteinahme, Kampf, Leidenschaft – ira et studio – sind das Element des Politikers. Und vor allem: des politischen Führers.“

Max Weber, Politik als Beruf, 1919

taz FUTURZWEI | Wer ist Lars Klingbeil, und was will er? Zunächst die biografischen Daten: Klingbeil, 47, begann sein politisches Leben als Schulsprecher im Gymnasium und in der lokalen „Antifa“. Er leistete Zivildienst in der Bahnhofsmission in Hannover, schloss an der Leibniz-Universität Hannover sein Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte mit einem Magister ab.

Er war von 2001 bis 2016 Mitglied im Rat seiner Heimatstadt Munster, von 2006 bis 2020 Mitglied im Kreistag Heidekreis, von 2006 bis 2020 Vorsitzender des SPD Unterbezirkes Heidekreis. Erarbeitete als Student im Wahlkreisbüro des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Von 2003 bis 2007 war er stellvertretender Vorsitzender der Jusos. Seit 2009 ist Klingbeil SPD-Abgeordneter im Bundestag.

Im Dezember 2017 wurde er zum Generalsekretär der SPD, 2021 zusammen mit Saskia Esken zur Vorsitzenden-Doppelspitze gewählt. Nach der krachend verlorenen Bundestagswahl mit dem Alltime-Tief von 16,4 Prozent wurde er auch noch Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im neuen Bundestag. Als klarer Parteichef führt er die Koalitionsverhandlungen mit der Union und wird selbst als zukünftiger Außenminister gehandelt.

Auf Parteilinie

Zwischen Webers Vorstellung von einem Politiker als politischem Führer und dem Auftreten Klingbeils gibt es eine deutliche Differenz. Klingbeil zeigt keinerlei Charisma, wenig Leidenschaft, er funktioniert. Er tritt nie daneben, er ist zwar Seeheimer, weicht aber niemals von der Parteilinie ab.

Nur einmal nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hat er ein Papier verfasst, in dem er einen radikalen Bruch der SPD mit ihrer tiefen Russland-Obsession verlangt, was erstaunlich war, nachdem er über Jahre an der Seite Gerhard Schröders die Russland-Connection der Partei verantwortlich mit organisiert hat. Respekt.

Das Papier ist allerdings nach kurzer Aufregung ohne jede Wirkung verschwunden. Klingbeil hat dann die zögerliche Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Frage der Waffenlieferungen mitgetragen.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Getragen vom Apparat

Seine mächtige Stellung als Partei- und Fraktionschef, als Verhandlungsführer für die nächste Regierung, verblasst hinter seinem immer lächelnden Auftreten im politisch nicht fassbaren Nichts. Politische Ideen, Zukunftsperspektiven für das Land und die Sozialdemokratie, die mit seiner Person verknüpft wären, sind kaum bekannt. Ihm wird allenfalls hoch angerechnet, dass er seine Partei unaufgeregt zusammenhält.

Das Absinken der Zustimmung zur SPD auf mittlerweile nur noch 14 Prozent erträgt er stoisch. Das ist, vor dem Hintergrund seiner politischen Karriere, kein Zufall. Seine politischen Universitäten waren nicht der raue Alltag des gesellschaftlichen Lebens, das Sich-Behaupten müssen in der Arbeitswelt, sondern getragen hat ihn Diensteifer in den Vorzimmern seiner politischen Förderer, im Apparat der SPD.

Krisen-Sachbearbeiter

Die Veränderungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit haben den selbstbezogenen SPD- Parteibetrieb wenig gestört. Die erfolgreich aufgestiegenen Kinder der SPD-Arbeiter sind zu den Grünen oder zur CDU abgewandert, die Arbeiter selbst zur AfD oder ins Lager der Nichtwähler. Die ehemals politisch tragenden Parteimilieus haben sich aufgelöst.

Es sei daran erinnert, dass für SPD wie CDU früher Wahlergebnisse von über 40 Prozent möglich gewesen sind. Sie wurden von großen politischen Persönlichkeiten hergestellt, hinter denen sich ihre Parteien versammelt hatten.

Adenauer, Brandt, Kohl, Schmidt, Schröder und auch Merkel haben es geschafft, ganz im Sinne Max Webers, über die parteibezogenen Milieus hinweg Mehrheiten aus der ganzen Gesellschaft zu formen. Weder Klingbeil noch Friedrich Merz zeigen vergleichbare politische Leidenschaften, sie verhalten sich eher wie Krisen-Sachbearbeiter.

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Die Selbstverzwergung der SPD

Dabei wird das Defizit bei der Repräsentation des Souveräns durch den Zwang zur gemeinsamen Abgrenzung der Parteien der Mitte gegenüber den illiberalen Herausforderungen der AfD noch vergrößert.

Diese Abgrenzung macht die Parteien ununterscheidbarer, zwingt sie unter ein Regime von Sachzwängen, unter denen das Formulieren und Vortragen je eigener Zukunftspositionen, das Hervorheben ihrer inhaltlichen Differenzen, behindert wird.

Die SPD hat sich auf diese Selbstverzwergung bereits eingestellt, wenn sie sich in den Koalitionsverhandlungen als Leitlinie auf „Sozialabbau - mit uns nicht“ reduziert. Gleiches gilt für die CDU, wenn sie vor allem den Eindruck erweckt, dass mit den gepumpten Milliarden das Wohnheim Bundesrepublik weiter ordentlich ausgepolstert werden kann, was in der Realität gar nicht möglich ist.

Die kleinen Großen

Die SPD hat durchaus Politiker im Format Max Webers in ihrer Führungsriege. Zwei, genauer gesagt. Sie haben das Potential und die Leidenschaft auch in der Koalition mit der Union sichtbare sozialdemokratische Wege in eine erfolgreiche deutsch-europäische Zukunft einzuschlagen.

Mit Boris Pistorius als Verteidigungsminister der SPD könnte eine europäische Verteidigung auf den Weg gebracht, die Wiedereinführung der Wehrpflicht durchgesetzt und damit die Sicherheit für ganz Europa gegen die russische Bedrohung garantiert werden.

Mit Karl Lauterbach als Gesundheits- oder Sozialminister könnte die soziale Sicherheit für alle Bürger durch effektivere Strukturen in den Sozialsystemen langfristig sichergestellt werden, auch wenn dazu vorübergehend weiter steigende Sozialbeiträge erforderlich wären.

Großer Schritt für Klingbeil, ein kleiner für die SPD

Mit einem Außenminister Klingbeil dagegen würde sich die SPD an die CDU ausliefern, denn die Außenpolitik wird nur symbolisch im Außenministerium, in Wahrheit aber im Kanzleramt entschieden. Zudem würde ein Außenminister Klingbeil aus Gründen der Machtlogik die Chancen von Boris Pistorius zunichte machen, als Verteidigungsminister weiter zu arbeiten.

Zu Lars Klingbeils politischem Lebensweg in den Sielen der SPD würde das Außenministerium als Höhepunkt passen, für die SPD wäre das ein weiterer Schritt ihres Abtritts von der historischen Bühne.

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