: SPD formuliert ihren eigenen Staatsvertrag
■ Die SPD-Minister im Ostberliner Kabinett haben den Bonner Vertragstext umformuliert und ergänzt / Der Alternativentwurf will die Position der DDR im Einheitsprozeß stärken und sieht neben sozialen Verbesserungen einen gemeinsamen Parlamentsausschuß vor
Berlin (taz) - Die Bonner Union bezeichnet ihn als „Störfeuer“. Für den Chef der SPD-Volkskammerfraktion, Schröder, stellt er die „Zerreißprobe“ für die Ostberliner Koaliton dar: der alternative Staatsvertragsentwurf der SPD -Minister in der Berliner Regierung. Zwar orientiert sich der Text in Grundzügen und Struktur am Bonner Entwurf, doch in wesentlichen Punkten, wie der Eigentumsfrage an Grund und Boden, der Finanzierung des sozialen Netzes oder der Etablierung deutsch-deutscher Gremien, bietet der SPD -Entwurf konfliktträchtige Gegenpositionen zu den Bonner Vorstellungen.
Schon in der Präambel schlägt der Entwurf einen Ton an, der den Anspruch auf gleichberechtigte Verhandlungen deutlich macht und all denen als Affront erscheinen muß, für die das in Aussicht gestellte „DM-Geschenk“ schon vorab die Aufhebung der Souveränität der DDR bedeutet. Demgegenüber gilt der SPD das „Selbstbestimmungsrecht“, das sich die Bevölkerung „in einer friedlichen und demokratischen Revolution erkämpft“ hat, als eigentlicher Ausgangspunkt des Vertrages. Während der Bonner Entwurf Änderungsbedarf im wesentlichen nur auf DDR-Seite ortet, mahnen die SPDler in der neuformulierten Präambel die notwendige „Aktualisierung und Ergänzung des Grundgesetzes“ an. Anstelle der generellen Vorrangklausel des Bonner Staatsvertrages gegenüber dem Verfassungsrecht der DDR will die SPD lediglich die „Vereinbarkeit der Verfassung mit den Regelungen dieses Vertrages gewährleisten“. Mit dieser Formulierung würde der Staatsvertrag nicht, wie bisher vorgesehen, automatisch DDR -Verfassungsrecht brechen. Vielmehr müßten dem Vertrag widersprechende Bestimmungen auf dem vorgesehenen parlamentarischen Weg modifiziert oder gestrichen werden.
Während der Bonner Entwurf - ganz im Stil der bisherigen Verhandlungen - die Problemlösung und Konfliktbewältigung bei der Durchführung des Staatsvertrages auf Regierungsebene zentralisiert und zu diesem Zweck einen gemeinsamen Regierungsausschuß vorsieht, besteht die SPD auf angemessener parlamentarischer Beteiligung in Form eines gemeinsamen Parlamentsausschusses. Während die Parlamente von den bisherigen Verhandlungen meist aus der Presse informiert werden, sollen in Zukunft die Regierungen beider Vertragsparteien verpflichtet werden, den Ausschuß regelmäßig über alle Fragen im Zusammenhang mit der Vereinigung beider deutscher Staaten „umfassend“ unterrichtet werden.
Auch in der Eigentumsfrage ist die SPD offensichtlich nicht bereit, auf die Bonner Vorschläge einzuschwenken. Während führende Bonner Unionspolitiker in den letzten Tagen deutlich gemacht haben, daß sie im Zuge der marktwirtschaftlichen Ordnung der DDR auf uneingeschränkte Privatisierung von Grund und Boden setzen, hält die SPD an den ursprünglichen Koalitionsvereinbarungen fest. Zwar sollen Grund und Boden grundsätzlich handelbar sein; doch für eine Übergangszeit von 10 Jahren sollen mit gebietsfremden Personen lediglich Pacht-, keine Kaufverträge abgeschlossen werden.
Auch beim Aufbau und der Finanzierung des sozialen Netzes ist der SPD-Entwurf wesentlich detaillierter als der Bonner Text. Besonders in dieser Frage müssen, geht es nach den SPD -Ministern - „Besonderheiten der Übergangsphase“ stärkere Berücksichtigung finden. So sollen mit der Freigabe der Preise alle Renten um einen Pauschalbetrag in Höhe des durchschnittlichen Subventionsabbaus pro Kopf erhöht werden.
Für die Etablierungsphase des Versicherungssystems, während der die Ausgaben nicht durch Beiträge gedeckt sind, verspricht Bonn eine „Anschubfinanzierung“. Die SPD-Minister hätten es gern etwas verbindlicher. Sie fordern einen „Finanzausgleich“.
Auch bei der zukünftigen Finanzpolitik gibt es keinen Konsens. Die hochsensible Frage des Subventionsabbaus will die SPD deutlich vorsichtiger angehen als Bonn lieb sein dürfte. Während die Bundesregierung den Subventionsabbau „kurzfristig“ einfordert, schwebt ihr ein „schrittweiser Abbau“ vor. Berücksichtigen will sie dabei die „soziale Absicherung“ für Industriewaren, Energie, landwirtschaftliche Produkte, Nahrungsmittel und Mieten genau diejenigen Güter und Dienstleistungen, für die im Bonner Text die kurzfristige Subventionsstreichung angemahnt wird. Daß der SPD-Entwurf den Erwartungen der hochgradig verunsicherten DDR-Bevölkerung entgegenkommt, ist unstrittig. Dennoch bleibt zweifelhaft, ob sich die Fleißarbeit der SPD-Minister auszahlt. Denn die bislang äußerst moderat vorgetragene Kritik am Bonner Einheitskonzept deutet nicht darauf hin, daß die SPD - unter Einsatz der Regierungsbeteiligung - um die Durchsetzung ihrer Vorstellungen kämpfen will.
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