SPD-Politiker Schneider über Integration: "Deutschland ist ein Einwanderungsland"
Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) wirft der Union Stammtischparolen vor. Auf Kosten von Minderheiten. Ein Punktesystem will er aber auch nicht haben.
taz: Herr Schneider, warum wird zurzeit so erregt über Integration diskutiert?
Guntram Schneider: Zum einen geht es um reale Probleme: Die konkrete Integrationspolitik hat viel zu spät eingesetzt, weil die Politik zu lange dem Irrglauben anhing, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Viele in der Union wollen das ja bis heute nicht wahrhaben. Zum anderen wird hier perfide versucht, aus der Diskreditierung gesellschaftlicher Minderheiten politisch Kapital zu schlagen.
Wen meinen Sie?
Bei Herrn Seehofer und seiner Partei sieht man das beispielsweise sehr deutlich. Die meinen, sie müssten den deutschen Stammtisch bedienen, um aus einem politischen Loch herauszukommen. Ich halte es für unverantwortlich, wenn bisherige Integrationserfolge kurzfristigen politischen Profilierungsinteressen geopfert werden.
In Teilen der Bevölkerung kam auch Merkels Aussage, Multikulti sei gescheitert, gut an.
Ich kann mit einem solchen Testat nichts anfangen. Wer sagt, Multikulti ist gescheitert, kann auch behaupten, zwei mal zwei ist nicht vier. Wir leben doch in einer multikulturellen Gesellschaft. Schauen Sie mal nach Düsseldorf: Hier sind weit über 130 Nationalitäten zu Hause, entsprechend bunt ist auch das Leben. Wie organisieren wir ein möglichst spannungsarmes Zusammenleben sehr unterschiedlicher Menschen? Das ist die Frage. Die Geschäftsgrundlage dafür sind unsere Rechtsordnung und die Verfassung.
Guntram Schneider, 59, ist seit Juli Minister für Arbeit, Integration und Soziales in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war er DGB-Landeschef.
Was bedeutet das konkret?
Die Integrationspolitik der rot-grünen Landesregierung hat drei zentrale Elemente: Erstens geht es um Bildung. Ausgehend von den Kindergärten muss sichergestellt sein, dass kein Kind eingeschult wird, das nicht die deutsche Sprache kann. Zweitens geht es um Arbeit. Wir müssen mehr für berufliche Qualifizierung tun, damit Menschen mit Migrationshintergrund besser auf dem ersten Arbeitsmarkt Platz finden. Drittens wollen wir die Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe und Beteiligung erhöhen, zum Beispiel über das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer. Außerdem wollen wir die Übernahme von Doppelstaatsangehörigkeiten erleichtern.
Sie sind Nachfolger des Christdemokraten Armin Laschet, dessen Integrationspolitik gelobt wurde. Sind seine Schuhe nicht etwas zu groß für Sie?
Nein, überhaupt nicht. Laschet hat Marken gesetzt, an die man anknüpfen kann, das ist keine Frage. Allerdings liegen bei mir die Akzente etwas anders. Mir geht es um eine Integrationspolitik von unten - ausgehend von dem, was die Menschen erleben. Im nächsten Jahr werden wir ein Integrationsgesetz in den Landtag einbringen, um Integration auf verbindliche Beine zu stellen. Hierüber werde ich einen breiten Diskurs mit allen gesellschaftlichen Kräften und besonders mit den selbst organisierten Menschen mit Migrationshintergrund initiieren.
Wirtschaftsminister Brüderle fordert ein Punktesystem, um Hochqualifizierte ins Land zu holen. Was halten Sie davon?
Wir brauchen ein solches Punktesystem im Moment nicht. Der drohende Fachkräftemangel muss primär dadurch bekämpft werden, dass man die Menschen, die hier sind, qualifiziert. Das gilt gerade auch für Menschen mit Migrationshintergrund: Ihre Arbeitslosenquote ist fast dreimal so hoch wie der Durchschnitt. Das ist einfach nicht akzeptabel.
Darüber hinaus wären wir schon ein Stück weiter, wenn wir uns endlich ernsthaft der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Diplome widmen würden. Wir haben allein in NRW 130.000 Menschen mit ausländischen Abschlüssen, die darauf warten, dass diese Qualifikationen anerkannt werden. Hier gibt es ein großes Reservoire an Fachkräften, das wir im Interesse unserer Wirtschaft auch heben müssen.
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