SPD-Linker Böhning über Schuldenbremse: "Schädlich und ungerecht"
Die SPD-Linke rebelliert gegen die von ihrer Partei ausgehandelte Schuldenbremse. Der Staat werde auf eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik festgelegt, so Björn Böhning.
taz: Herr Böhning, ist die Schuldenbremse sinnvoll?
Björn Böhning: Nein, das ist ein statisches Instrument, das eine dynamische Volkswirtschaft einengt. Es ist kein Zufall, dass es dies weltweit nur in der Schweiz gibt. Und auch da funktioniert es nicht.
Ihr Genosse Peter Struck hält die Schuldenbremse aber für nötig, die Einigung darauf für eine "Sternstunde".
Diese Generation von Politikern hat jahrzehntelang Schulden gemacht. Jetzt sollen die Jüngeren nicht nur diese Schulden zurückzahlen - sie dürfen zukünftig zur Tilgung sogar keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Das ist absurd und das Gegenteil von Generationengerechtigkeit. Dem Staat werden wirtschaftspolitische Spielräume genommen.
Diese Spielräume werden aber auch durch die Schulden eingeschränkt. Der Schuldendienst frisst ja ein Fünftel des Bundeshaushalts. Muss man dem nicht doch mit Zwang - wie der Schuldenbremse - entgegenwirken?
Wir brauchen einen konsolidierten Haushalt. Rot-Rot hat in Berlin gezeigt, wie das geht. Aber das ist eine politische Entscheidung. Denn es gibt Situationen, in denen man investieren muss. Wer in der Krise spart, verschärft sie. Dazu sollen wir per Grundgesetz gezwungen werden. Das ist falsch. Stellen Sie sich vor, wir würden den Dispokredit aller Firmen und Privathaushalte auf 0,35 Prozent des Jahreseinkommens begrenzen. Dann würde die Volkswirtschaft zusammenbrechen, weil es kein Geld für Investitionen mehr gäbe.
Gegner der Schuldenbremse wollen es sich auf Kosten unser Enkel gut gehen lassen, sagen manche. Was antworten Sie?
Dass unsere Enkel gut ausgestattete Kitas, Schulen, Unis und Krankenhäuser vorfinden sollen. Wer den Ländern ab 2020 verbietet, Schulden für Investitionen aufzunehmen, verhindert das.
Die SPD-Linke ist in dieser Debatte spät aufgewacht …
Ach, nein. Die SPD-Linke erscheint in den Medien mal als übermächtig, mal als handlungsunfähig. Beides stimmt nicht. Wir haben schon früh gesagt, dass mit uns diese Schuldenbremse nicht zu machen ist …
… aber nur ganz leise …
Na ja, wer ganz laut beginnt, kann am Ende nicht mehr zulegen. Wir haben in der SPD-Fraktion durchgesetzt, dass es eine Schuldenbremse von 0,7 Prozent des BIP geben soll - mit Offenheit für die wirtschaftliche Dynamik. Das ist mit einem Handstreich weggefegt worden.
Mit einem Handstreich von Peter Struck?
Entscheidend ist nicht, wer Akteur dieses Handstreichs war. Entscheidend ist, zu einer akzeptablen Lösung zu kommen.
Kann diese Schuldenbremse noch gestoppt werden?
Ich hoffe, ja.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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