: SPD: Klarheit vor dem Beitritt
■ SPD aus Ost und West: Zweiter Staatsvertrag soll Weg zur Einheit festlegen Einheitliche Fünf-Prozent-Klausel / Schwangerschaftsabbruch neu regeln
Bonn (ap/taz) - Die Sozialdemokraten in beiden deutschen Staaten wollen in einem zweiten Staatsvertrag über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik „soviel wie irgend möglich“ regeln. In Bonn begründete der Vorsitzende der DDR -SPD, Wolfgang Thierse, dieses Anliegen am Mittwoch mit dem Hinweis, solange es noch eine souveräne Regierung und ein Parlament der DDR gebe, seien die Möglichkeiten, die Interessen der Sozialdemokraten einzubringen, größer als in einem gesamtdeutschen Parlament. Das Einvernehmen mit Ministerpräsident Lothar de Maiziere in diesen Fragen sei „erheblich“.
Thierse und die stellvertretende Vorsitzende der West-SPD, Hertha Däubler-Gmelin, wiesen darauf hin, daß die Beitrittsvereinbarung die Zustimmung von Bundestag, Bundesrat und Volkskammer brauche. Außerdem seien Verfassungsänderungen notwendig, die eine Zwei-Drittel -Mehrheit erforderten. Die staatliche Einheit müsse sorgfältig vorbereitet und der zweite Staatsvertrag von Anfang an unter Einbeziehung der Bundesländer, der Parlamente und der Öffentlichkeit erarbeitet werden.
Thierse und Däubler-Gmelin verlangten unter anderem, daß die ersten gesamtdeutschen Wahlen erst nach dem Beitritt stattfinden, und zwar auf der Grundlage gleicher Wahlrechtsbestimmungen in einem einheitlichen Wahlgebiet mit einer auf das gesamte Gebiet bezogenen Fünf-Prozent-Klausel. Auch unter diesen Voraussetzungen sei die Wahl im Dezember möglich. Alle anderen Vorschläge böten Raum für Manipulationen, verletzten die Grundsätze der Stimmengleichheit und der Gleichheit der Wahlchancen und belasteten die Arbeitsfähigkeit des gesamtdeutschen Parlaments.
Thierse und Däubler-Gmelin forderten, schon in der Beitrittsvereinbarung das Grundgesetz in wichtigen Punkten zu präzisieren. Der Umweltschutz sowie das Recht auf Arbeit und Wohnraum seien als Staatsziele in die Verfassung aufzunehmen. Über die gesamtdeutsche Verfassung solle eine Volksabstimmung stattfinden. In der DDR entstandene soziale und kulturelle Institutionen wie die Staats- und Nationaltheater sowie der öffentlich-rechtliche Rundfunk müßten gesichert werden.
„Tragfähige Regelungen“ verlangten die beiden SPD-Politiker auch für die Angleichung der Lebensbedingungen und der geltenden Gesetze. Das gelte für das öffentliche Dienstrecht, für die Bestimmungen des Straßenverkehrs, des Strafrechts und des Familienrechts. Zum Schwangerschaftsabbruch werde eine neue Regelung angestrebt, „die Verantwortung und Selbstbestimmung der Frau berücksichtigt, die Schutzpflicht des Staates für werdendes Leben durch soziale Hilfen und Einrichtungen festlegt und begleitende strafrechtliche Bestimmungen im Sinne der Fristenregelung festlegt“.
Als unnötig bezeichnete der Justitiar der CDU/CSU -Bundestagsfraktion, Manfred Langne eine Volksabstimmung über die Verfassung. Nach dem Grundgesetz-Artikel 146 könne eine Volksabstimmung stattfinden, nachdem zuvor eine verfassunggebende deutsche Nationalversammlung eine neue Verfassung ausgearbeitet habe. Doch werde dieser Weg zur Einheit gerade nicht beschritten, sondern es werde der Beitritt nach Artikel 23 erklärt.
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